Go fuck yourself!
Wir brauchen eine neue Masturbationskultur!
„[…] das Leben ist zu kurz, um unser Spaß-Organ nicht zu nutzen.“
Dr. Sheila de Liz (Ärztin)
Ob ich es mir heute schon selbst gemacht habe? Nein. Im Laufe der Woche jedoch (ich schreibe dies an einem Freitag) selbstverständlich schon diverse Male. Meine Art zu masturbieren hat sich stark verändert, seit ich die schillernden Gefilde der menschlichen Sexualität nicht nur aktiv, sondern auch intellektuell und reflektiv zu erforsche.
Seit einigen Wochen nun liegt „untervögelt“ in den Läden und zeigt auf, welch massive Bedeutung das Wohl und Wehe unseres Sexuallebens auf unser gesamtes weiteres Leben hat. Auf unsere Gesundheit, Widerstandskraft und Lebenserwartung, aber auch auf unsere Attraktivität, Intelligenz und Sozialkompetenz. Und ganz naturgemäß nicht zuletzt auch auf die empfundene Qualität unserer Liebesbeziehungen.
Eine Vielzahl der positiven Auswirkungen, die unserer sexuellen Erfahrungen für Körper und Psyche mit sich bringen, hängt übrigens gar nicht davon ab, ob wir diese mit einem Partner erleben oder allein. Sie werden schlicht ausgelöst von den während unserer lustvollen Empfindungen ausgeschütteten neurochemischen Botenstoffen. Was uns gesund und glücklich macht also, ist bei Lichte betrachtet gar nicht unsere Liebste oder unser Liebster, sondern der durch unsere Adern und Lymphbahnen strömende Cocktail aus Dopamin, Testosteron, Östrogen, Oxytocin und einem Schwung an Endorphinen und weiteren Botenstoffen. Natürlich sind derartige Zustände in unserem biochemischen Inneren besonders leicht auszulösen, wenn wir gerade mit einem liebenden Partner durch den Garten der Lüste tollen. Notwendig jedoch ist so ein/e Liebespartner*in nicht. Der Garten der Lüste gewährt uns auch als Einzelspieler*in Einlass.
Wenn wir wollen.
Von Liebe, Selbstliebe und Integrität
„Ja, ich mach’s mir selber!
Das geht billiger, ist schneller!“
Die Nematoden (Schlagerband)
Leider hat die „Liebe an und für sich“ in vielen Köpfen (männlichen, weiblichen und allen weiteren!) bis heute einen furchtbar schlechten Ruf. Ich finde das überhaupt nicht verwunderlich. Schließlich sind die allermeisten der heute erwachsenen Männer, Frauen und * aufgewachsen in einer Kultur, die durchseucht war von der Lust- und Körperfeindlichkeit des katholischen Christentums und einem kapitalistischen Menschenbild, das uns suggerierte, nicht im Genuss des Augenblicks läge der Sinn unseres Daseins, sondern in stetigem Wettbewerb um Besitz und Ansehen. Katholizismus und Kapitalismus haben uns das Genießen madig gemacht.
Hinzu kommt ein toxisches Verständnis von Liebe, das nicht geprägt ist durch partnerschaftliche Kooperation und gegenseitiges Empowerment, sondern durch Handlungs-, Sprech- und Denkverbote und das stetige Bemühen, den „Partner“ vom eigenständigen Gegenüber zum reinen Erfüllungsgehilfen oder -objekt der eigenen (oft wenig durchdachten) Lebensvorstellungen zu degradieren. Wir sind es gewohnt, einander zu täuschen und zu manipulieren, unsere wahren Gedanken, Gefühle und Beweggründe zurückzuhalten, um ja nicht als das entlarvt zu werden, was wir wirklich sind.
Ich wundere mich längst nicht mehr, dass in einem Land wie unserem die Selbstliebe einen so schweren Stand hat, sowohl auf körperlicher Ebene wie auch auf emotionaler. Denn wie sollte ich einen Menschen von Herzen lieben, von dem ich weiß, dass er Tag um Tag und Stunde um Stunde mit den Menschen um sich herum wie mit sich selbst ein falsches Spiel treibt?
Mit großer Freude sehe ich daher die neu erstarkende Bewegung der Authentizität und Integrität. Ich bin davon überzeugt, sie wird nicht nur unserer Kultur als ganzes, sondern auch unserem Liebesleben bedeutende Dienste erweisen. Denn wer sich Tag um Tag, Stunde um Stunde, als einen Menschen erlebt, der für das Wahre, Gute und Schöne eintritt, der oder die wird für sich selbst bei Weitem mehr Achtung und Liebe empfinden als jene, die sich selbst eingestehen müssen, sich ihr Leben lang vor der Welt und sich selbst versteckt zu haben.
Dein Körper, deine Lust, deine Entscheidung.
„Wer will, findet Wege.
Wer nicht will, findet Gründe“
Volksmund
Ich öffne in meinem Büchlein ein ganzes Füllhorn an Belegen dafür, dass ein positiver und bewusster Umgang mit unserer Sexualität unser Leben und unsere Lebendigkeit an unzähligen Stellen bereichern. Wer ein gutes und erfülltes Sexualleben hat, leidet seltener an Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Nackenschmerzen, Migräne, Cellulite, Herzinfarkt, Schlaganfall und diversen Arten des Krebses. Wer häufig im Leben Orgasmen erlebt, ist mental fitter und sozial begabter als andere.
Es gibt also Gründe genug, uns in unserem Leben Räume der Lust zu schaffen. Wir müssen nur anfangen damit, uns dies zu erlauben.
Teenager(selbst)liebe
„Sexuelle Phantasien regen unser erotisches Vorstellungsvermögen an; sie sind eine gute Ausgangsbasis um Freude an der Sexualität zu empfinden. Unter der Voraussetzung, dass man bei diesen Fantasien kein schlechtes Gewissen hat; denn diese können oft etwas Anrüchiges haben.“
Dr. Pierre Desvaux (Sexualwissenschaftler)
Als ich in meinen Teenagerjahren den ersten Zugang zu meiner Sexualität fand, war ich kaum im Stande, den erregenden Bildern, die mir dabei in den Kopf kamen, meine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Zu stark war die immer wieder aufkeimende Angst, in meiner Lust erwischt zu werden. Stetig also hatte ich ein Ohr auf den Flur, ob dort zufällig Schritte in der Nähe meiner Zimmertür zu hören waren.
Ich war katholisch erzogen worden und schämte mich zutiefst für meine schmutzigen Gedanken und Taten. Nicht, dass mich dies vom Masturbieren abgehalten hätte. Dafür war die Kraft der Sexualität schon damals viel zu stark in mir. Ich lernte jedoch, auf eine Weise zu masturbieren, die möglichst leise, möglichst unauffällig und vor allem: möglichst flott war.
Ich hatte das Glück, im Laufe meines Lebens sexuelle Erfahrungen mit sehr interessanten Frauen zu sammeln. Meine Fähigkeiten im Umgang mit dem weiblichen Körper nahmen stets zu und wurden oft sehr lobend hervorgehoben. Das machte mich ziemlich stolz. Wobei ich mir auch die Frage stellte, wie unendlich unbeholfen sich wohl andere Männer im Schlafzimmer anstellen würden, wenn das bisschen, was ich wusste, dermaßen erwähnenswert war…
Interessanterweise jedoch blieb meine Art und Weise, mit mir selbst intim zu sein, noch über viele Jahre dieselbe, die ich mir als Teenager antrainiert hatte. Meine Art von Masturbation hatte nichts von „Liebe an und für sich“. Sie war nicht viel mehr als ein mechanischer Hebel zum Druckabbau.
Meiner Erfahrung nach masturbiert die große Mehrheit der Menschen in unserem Lande noch auf genau diese Weise. Und ob uns dies peinlich ist oder nicht, so tun es doch die allermeisten von uns. Du nicht?
Masturbation ist beziehungsfördernd!
„Selbstbefriedigung ist sehr
wichtig für die Sexualität.
Nur wenn ich weiß, was mir
gefällt, kann ich es meinem
Partner sagen oder zeigen.“
Dr. Sheila de Liz (Ärztin)
Masturbieren ist für viele Menschen letzten Endes nur Trostpreis-Sex für diejenigen die grundsätzlich oder gerade niemanden haben für „richtigen“ Sex.
Auch diese Sicht ist im Grunde leicht verständlich. Das, was wir an Abenteuer, Emotion und Exstase mit einer/einem versierten Partner*in erfahren können, stellt das Lustlevel, das bei der Masturbation möglich ist, gehörig in den Schatten. Ich möchte ergänzen: Zum Glück ist das so.
Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass das Masturbieren nur die Schmalspurvariante von „echtem“ Sex wäre. Wer dies glaubt, der übersieht: Masturbieren ist etwas vollkommen anderes als Sex zu zweit (oder mehrt). Beim Masturbieren gehen wir (diejenigen von uns, die dies zulassen können…) intensiv und sehr ehrlich mit uns selbst in Kontakt. Wir berühren unseren Körper, lassen Bilder aufsteigen in unserem Geist. Instantan reagiert unser System und gibt uns Feedback, darüber, was ihm gefällt oder nicht.
Wer bewusst und un-verschämt masturbiert, lernt sich selbst sehr intim kennen und lieben. Wer sich selbst gut kennt und sich liebt jedoch kann auch einer Partnerin oder einem Partner ohne Scheu oder langes Nachdenken davon erzählen, was ihm oder ihr Freude bereitet und Genuss beschert.
Auf diese Weise profitieren auch unsere Liebespartnerinnen und Liebespartner davon, wenn wir es uns immer mal wieder genüsslich selbst besorgen. Nicht nur, weil wir ihnen die Knöpfchen zeigen, mit denen sie uns denen sie uns aus dem gewohnten Alltagstrott herauskatapultieren können – wenn sie’s wollen. Sondern auch, weil wir umso befreiter beim Sex selbst mit Hand an uns legen, um uns zu erfreuen, statt darauf zu warten und zu hoffen, das unser/e Liebespartner*in ahnt, wonach uns jetzt grad ist.
So wie in manchen spirituellen Schulen die Selbstliebe als der Ursprung und das Fundament all unserer Liebe zu anderen Menschen gelten, so sind auch unsere Talente und Erfahrungen in der Masturbation eine wichtige Grundlage für all unsere sexuellen Begegnungen mit Anderen.
Masturbation 2.0
„Ich bin Leben, das leben will,
inmitten von Leben, das leben will.“
Albert Schweitzer (Theologe)
„Masturbation 2.0“, das klingt wie eine neue, aufregende (wenngleich etwas verkopfte) Technik, es sich besonders lustvoll selbst zu machen. Das ist es nicht. Natürlich ist Masturbation nicht zuletzt auch eine Frage der „richtigen“ Technik. Doch welche Technik just gerade die „richtige“ ist, das ist nicht nur von Person zu Person verschieden, sondern zum Teil sogar von Augenblick zu Augenblick.
Tatsächlich existieren inzwischen Websites, auf denen Frauen eingeloggten Userinnen detailliert erklären und zeigen, wie sie sich selbst berühren, was ihnen Spaß macht und wie sie sich zum Höhepunkt bringen. Ich finde das Aufkommen dieser Peer-to-Peer-Websites eine ganz wundervolle Sache. Wobei ihr großer Nutzen in meinen Augen gar nicht so sehr in den jeweils vorgestellten Techniken besteht, sondern darin, dass Frauen auf der Suche nach ihrer eigenen Art der Sexualität andere Frauen erleben, die ihnen zeigen, dass und wie es möglich ist, mit der eigenen Sexualität einen liebevollen, verspielten, lusterfüllten und vor allem selbstbewussten Umgang zu finden. Manche Userinnen dieser Seiten erfahren hier zum allerersten Mal, wie es ist, sich in seiner Sinnlichkeit und Lust willkommen und „richtig“ zu fühlen.
„Masturbation 2.0“ ist keine Technik, sondern ein Mindset, mit dem wir unseren eigenen Garten der Lüste betreten. Ein Mindset, das uns sagt:
„Meine Lust ist etwas Wunderbares und Schönes. Ich habe das Recht, mir zu erlauben, sie mit jeder Zelle meines Körpers zu genießen. Masturbation tut gut und erfrischt Seele und Leib. Dies ist meine Zeit, die ich mir für mich selbst nehme, um meinem Körper und meiner Psyche Gutes zu tun.
Nicht der Orgasmus ist mein Ziel, sondern alles an Lust zu empfinden, was jetzt gerade da und möglich ist. Ich darf mir Zeit lassen, mich zu erforschen und mit mir zu spielen. Alles, was mir Freude, Lust oder Exstase schenkt, ist mir hier und jetzt von Herzen willkommen. Ich tauche ein in gedankliche Bilder, Stimmen und Körperempfindungen, die mir Leidenschaft und Wonnen schenken.
Irgendwann, ja irgendwann werde ich sicherlich zum Höhepunkt kommen. Doch weder muss ich jetzt schon wissen, wann dies geschieht, noch welcher Gedanke mir dann durch den Kopf wehen wird. Dies ist meine Zeit für mich.
Was für ein Geschenk doch dieses Leben ist, in dem ich mir selbst derlei Freuden schenken darf!“
Nicht mehr, aber auch nicht weniger, ist Masturbation 2.0: Die Selbstliebefacette unseres bedingungslosen Ja’s zu unserer Sexualität und Sinnlichkeit.
Ob du dich allein deiner Hände und Phantasie bedienst, um dir gut zu tun, ob bei dir Spielzeug oder bewegte Bilder zum Einsatz kommen. Ob du von Dingen halbträumst dabei, die du kennst und liebst, oder von solchen, die bislang noch ferne Verlockung sind, all dies liegt allein bei niemandem anderes als bei dir und deinem Körper.
Die einfache Regel lautet: Was dich anmacht und erregt, ist gut. Es sei denn natürlich, du bist ein/e schwer gestörte Psychopath*in. Aber selbst dann wäre doch uns allen mehr gedient, wenn du auf deine gewalttätigen Phantasien freudig masturbierst, als dass du dich genötigt siehst, sie auszuleben. Oder?
Mach’s dir öfter! Mach’s dir besser!
„Da es sehr förderlich für die Gesundheit ist,
habe ich beschlossen, glücklich zu sein.“
Voltaire (Philosoph)
Es gibt viele gute Gründe, der „Liebe an und für sich“ mehr Aufmerksamkeit und Raum zu schenken. Doch die Entscheidung dafür, wie wir mit diesem Aspekt unserer Sexualität umgehen, liegt bei jeder und jedem von uns allein. Alles, was ich hier tun kann, ist dich einzuladen, dir selbst zu erlauben, ein größeres Maß an Erfüllung und Glück in deinem Leben für möglich zu halten:
Lass dich verführen zu einer Liebesgeschichte mit dir selbst und deiner Lust! Werde du der beste Liebhaber, die beste Liebhaberin, der/die du dir selbst sein kannst. Erlaube dir, dich selbst und dein Leben un-verschämt mit Freude und Genuss zu füllen. Je mehr von deiner ganzen Lebendigkeit du selbst spüren und leben kannst, desto mehr von ihr wird aus deinen Augen hinaus scheinen in die Welt.
Oder, um es mit biblischen Worten zu sagen: „Liebe deine Nächsten wie dich selbst!“
Wie hat sich dein Umgang mit deinem Körper und deiner Lust im Laufe deines Lebens verändert? Was kannst du aus deinen Erfahrungen zum Thema beitragen?
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Eine Antwort
Zitat aus dem Absatz „Masturbation ist beziehungsfördernd“: „Auf diese Weise profitieren auch unsere Liebespartnerinnen und Liebespartner davon…“
Das empfinde ich als einen ganz wichtigen Satz, weil hier die Brücke von augenscheinlicher „Selbst“-Liebe zur Mit-Liebe geschlagen wird. Im Detail kann ich also sogar ein besserer Beziehungsmensch werden: Das ist ein höchst angenehmer Win-Win-Gedanke!