Glücksprägungen
Von Triggern, Glimmern und Kinks…
Alles sollte so einfach wie möglich
gemacht werden, — aber nicht einfacher.
Albert Einstein, Physiker (1897 – 1955)
Seien Sie sehr, sehr vorsichtig damit,
was Sie in diesen Kopf hinein tun,
denn Sie werden es niemals jemals
wieder dort herausbekommen.
Thomas Wolsey, katholischer Kardinal (1473 – 1530)
Ich habe im Laufe der Jahre den Eindruck, es in den Gesprächen mit meinen Klient:innen wiederkehrend mit einem überaus mächtigen psychologischen Phänomen oder Prinzip zu tun zu bekommen, das vorhersagbare psycho-emotionale Auswirkungen auf uns hat, für das ich allerdings bislang meiner Kenntnis nach seltsamerweise bis heute keinen passenden deutschen Namen fand…
Da es schwer ist, über eine Sache zu sprechen, für die wir keinen Begriff haben, möchte ich euch das Phänomen oder Prinzip, das ich zu beobachten glaube, hier ein wenig vorstellen und euch dafür ein paar griffige und leicht verständliche Vokabeln an die Hand geben…
In diesem Text erläutere und begründe ich euch meine Theorie der Glücksprägungen und ihrer emotionalen Auswirkungen auf uns… Diese Theorie knüpft an Abraham Maslows Konzept der „Peak Experiences“ an, erweitert dieses und leitet aus ihren Annahmen zudem konkrete Empfehlungen ab für unser alltägliches Miteinander in der Liebe sowie mit allen weiteren emotional bedeutsamen Beziehungen unseres Lebens…
Um nachvollziehbar beschreiben zu können, worum es mir geht jedoch, werfe ich zunächst einen sehr pragmatischen Blick auf ein ganz anderes Phänomen oder Prinzip, das inzwischen vermutlich uns allen auf die eine oder andere Weise geläufig ist, selbst wenn um dessen klare Definition und Eingränzung in Fachkreisen gerade noch teils herbe Diskussionen ausgetragen werden…
Ich beginne meine heutige Reise in unsere Psyche mit einer auf den ersten Blick vielleicht etwas merkwürdig klingenden Frage…
Sie lautet:
Was genau ist eigentlich das Gegenteil von einem „Trauma“…?
Die Wirklichkeit und damit Erleben, Bewusstsein, Wahrnehmen, Vorstellen, Erinnern usw. sind – so mögen wir spekulieren – eine ‚Erfindung‘ des Gehirns im Zusammenhang mit der Integration multisensorischer Information, ihrer Gestaltung durch Erfahrungsinhalte, die im Gedächtnis vorhanden sind und dem Ermöglichen von Handlungsplanung.
Gerhard Roth, Neurobiologe und Hirnforscher (1942 – 2023)
Jeder einzelne von uns ist ein Abbild Gottes, aber jeder gleicht einem beschädigten Bild. Wenn wir eine Ikone erhielten, die durch Abnutzung, durch menschlichen Hass oder andere Umstände beschädigt wurde, würden wir sie mit Ehrfurcht, Zärtlichkeit und Trauer betrachten. Wir würden unsere Aufmerksamkeit nicht in erster Linie der Tatsache zuwenden, dass sie beschädigt ist, sondern der Tragödie ihrer Beschädigung. Wir würden uns darauf konzentrieren, was von der Schönheit übrig ist und nicht auf das, was von der Schönheit verloren ging. Und das ist es, was wir bezüglich jedes Menschen noch lernen müssen.
Anthony von Sourozh, russisch-orthodoxer Bischof (1914 – 2003)
Es gibt Erfahrungen im Leben, die erschüttern und schockieren uns dermaßen, dass von diesen für den Rest unseres Lebens eine psycho-emotionale Spur in uns zurückbleibt… Wahlweise einzelne Erlebnisse oder aber über einen längeren Zeitraum wiederholte Erfahrungen von Verzweiflung, Isolation, Existenz- oder gar Überlebensangst können sich unter widrigen Umständen (z.B. ohne soziale und emotionale Unterstützung) derart tief in die Psyche einbrennen, dass ein Mensch aus diesen Erfahrungen nachhaltige Störungen seiner psychischen, emotionalen oder sozialen Fähigkeiten mit sich davonträgt…
Hierbei ist es wichtig zu unterscheiden: Nicht das Ereignis selbst stellt das Trauma dar, sondern seine Auswirkungen auf die Psyche… Das Ereignis an sich wirkt lediglich als Auslöser oder auch Verstärker… Zwei Menschen können daher von Außen betrachtet die gleichen Dinge erfahren, durchlitten oder überlebt haben und diese dennoch sehr unterschiedlich verarbeiten oder verdauen… Eine jede und ein jeder von uns hat bedingt durch verschiedenste Faktoren im Umgang mit den unterschiedlichsten Stress-Erfahrungen eine jeweils unterschiedliche Resilienz…
Je nachdem, ob es sich bei dem traumatisierenden Ereignis um ein einmaliges Ereignis (z.B. eine Naturkatastrophe, Gewalterfahrung oder den plötzlichen Verlust eines geliebten Menschen) oder um eine über Wochen, Monate oder gar Jahre stetig wiederholt eingeprägte Erfahrung (z.B. physische oder psychische Gewalt im Elternhaus, langjährige Armut oder Krankheit, langjährig dysfunktionale „Liebes“-Beziehungen) handelt, sprechen Fachmenschen wahlweise von einem Schock- oder einem Entwicklungstrauma…
Besonders anfällig für die Entwicklung psychischer Traumata sind wir bekanntermaßen in den prägenden Jahren unserer Kindheit und Jugend… Darüber hinaus allerdings stellen auch alle weiteren Phasen bedeutsamer Umbrüche im Leben, in denen wir ungewollt Abschied nehmen, uns neu orientieren oder gar selbst vollkommen neu erfinden müssen, Zeiten dar, in denen unsere Psyche besonders empfindsam und verletzlich ist…
An dieser Stelle möchte ich noch einmal drauf hinweisen, dass manche Menschen den Begriff „Trauma“ sehr viel enger fassen, als ich dies in den vorausgegangenen Absätzen getan habe. Manche Menschen argumentieren, ein „Trauma“ läge erst dann vor, wenn die Person, die unter diesem leidet, kaum mehr selbstständig lebensfähig ist… Mein Verständnis von „Trauma“ ist, wie bereits dargestellt, bedeutend weiter gefasst…
Tatsächlich kenne ich eine ganze Reihe von Menschen, die rein materiell betrachtet ganz hervorragend funktionieren… Sie haben einen angesehenen Job und niemals ernstzunehmende Sorgen mit Geld… Gleichzeitig haben jene Menschen, an die ich hier denke, in ihrer Kindheit bereits derart tief verankert, dass Gefühle etwas wahlweise Belangloses oder gar zutiefst Bedrohliches und Gefährliches sind, dass sie als erwachsene und gestandene Männer und Frauen nicht im Stande dazu sind, ihre eigenen Gefühle oder die eines anderen Menschen zu registrieren, einzuordnen oder gar beschreibend in Worte zu fassen… Menschen mit einem sogenannten vermeidenden Bindungsstil sind nur schwer in der Lage, wirklich tiefe zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen, halten sich selbst jedoch für „psychisch absolut gesund“ und „selbstverständlich vollkommen normal“ – was ihnen nicht selten von ihrem gesamten Umfeld geglaubt und gespiegelt wird…
Ein Trauma ist in meinen Augen unter’m Strich der psycho-emotionale Nachhall überwältigend furchterregender oder leidvoller Lebenserfahrungen, die unsere Fähigkeiten zur Verarbeitung und Integration zum Zeitpunkt der Erfahrung massiv überschritten… Häufig zeigt sich ein solcher traumatischer Nachhall in Form von repetetiv wiederkehrenden Gedanken, inneren Bildern oder Szenen in Dauer-Schleife, in Form von (selbst-) destruktiven Handlungs-Impulsen oder automatisierten Reiz-Reaktions-Mustern…
Dies war ganz bewusst nur ein sehr grober und vereinfachter Einblick in das weite und komplexe Feld der Psychotraumatologie… Weiter will ich es an dieser Stelle nicht vertiefen… Wie oben bereits erwähnt, dient uns diese Perspektive hier lediglich als Hintergrund dessen, worauf ich im folgenden Kapitel eingehen werde…
Falls ihr euch tiefer mit dem Thema emotionale Traumata und/oder Bindungsstörungen beschäftigen wollt, empfehle ich euch von Herzen die folgenden Bücher einiger Kolleg:innen, deren Arbeit ich sehr schätze:
Verena König: Bin ich traumatisiert?
Damy Charf: Auch alte Wunden können heilen
sowie insbesondere:
Bessel van der Kolk: Das Trauma in dir
Ich glaube, im Grunde haben viele von uns längst mindestens eine Idee davon, was ein „Trauma“ sein könnte, und durch welche Art von Erfahrungen so etwas ausgelöst werden könnte… Weit weniger bekannt ist bedauerlicherweise, wie wichtig gerade in solchen Erfahrungen liebevoller Beistand von emotional vertrauten Mitmenschen ist…
Es gibt einfach Erfahrungen, die sind zu groß für ein Herz alleine…
Darüber hinaus glaube ich zutiefst, dass sich viele Traumafolgestörungen bereits im Ansatz vermeiden ließen, wenn es uns gemeinsam gelänge, eine Kultur zu erschaffen, in der emotionaler Beistand kein Job für Therapeutinnen, Streeworker oder Seelsorger ist, sondern integraler Bestandteil jeder Freundschaft, jeder Liebesbeziehung oder vielleicht sogar nach und nach der gelebten Unternehmenskultur in der einen oder anderen Firma oder Organisation…
Aber nun genug vom Trauma…
Die spannende Frage, der ich mich nun näher möchte, lautet:
Hinterlassen eigentlich nur überwältigend negative Erfahrungen eine derartig nachhaltig wirksame Spur in unserer Psyche…?
Oder könnte es eventuell sein, dass auch überwältigend positive Erfahrungen in unsere Psyche einen ganz ähnlich persistenten Eindruck einbrennen…?
Und wenn ja, welche Folgen hätte dies voraussichtlich…?
Erfahrungen ungeahnten Glücks: „Oh…! Mein…! Gott…! … … … Ja…!“
Das letzte Ziel des Menschen ist das Glück.
Thomas von Aquin, Theologe (1225 – 1274)
Denken Sie an die wundervollsten Erlebnisse in Ihrem Leben: die glücklichsten Augenblicke, die ekstatischsten Augenblicke, die Augenblicke der Verzückung, vielleicht weil Sie verliebt waren, Musik hörten, ein Buch oder ein Gemälde Sie plötzlich „umhauen“ oder ein kreativer Moment.
Abraham Maslow, Psychologe (1908 – 1970)
Ich glaube zutiefst, nicht nur unser Körper, sondern auch unsere Psyche hat ein paar sehr spezifische und benennbare Bedürfnisse… Hierunter verstehe ich Erfahrungsqualitäten, die unsere Psyche meiner Auffassung nach zwingend zu ihrem Gedeihen braucht, und deren wahlweise akute oder insbesondere chronische Unterversorgung zwingend dazu führt, dass wahlweise akute oder schlimmstenfalls sogar chronische Störungen verschiedenster Art auftreten…
Diese in meinen Augen zwingend erforderlichen Erfahrungsqualitäten unserer Psyche benenne ich wie folgt:
01 Wohlbefinden, Sicherheit, Leichtigkeit, Orientierung (Passive Basissbedürfnisse, Grundvoraussetzung: Fähigkeiten zur Sinneswahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung)…
02. Wirksamkeit, Freiheit, Intensität, Entwicklung (Handlungsbedürfnisse, Grundvoraussetzung: Fähigkeit zu aktiver und bewusster Körperkontrolle)…
03. Gemeinschaft, Anerkennung, Gerechtigkeit, Verbundenheit (Gemeinschaftsbedürfnisse, Grundvoraussetzung: soziale Lebensweise)…
04. Selbsterkenntnis, Sinn, Integrität und Selbstentfaltung (Identitätsbedürfnisse, Grundvoraussetzung: Fähigkeit zur Metakognition)…
Einen ausführlichen Einblick in mein Verständnis und meine Nomenklatur unserer psychischen Grundbedürfnisse findet ihr unter diesem Link…
Leider leben wir, wie ich ebenfalls an anderer Stelle tiefer ausgeführt habe, in einer Kultur, in der viele bedeutsame emotionale Störungen unentdeckt bleiben, so lange die Menschen, die unter ihnen leiden, noch im Stande sind, regelmäßig ihrer Arbeit nachzugehen und ihre Miete zu bezahlen… Bis heute wachsen viele Kinder bei Eltern auf, die aus ihrer eigenen Kindheit heftige und niemals verarbeitete emotionale Wunden in sich tragen… Die Folgen sind emotionale Kälte oder emotionales Drama, Vernachlässigung oder Überbehütung, Grenzüberschreitungen oder fehlende Grenzen…
In einem anderen Artikel beschreibe ich die 7 apokalyptischen Reiter der Liebe… Ich fürchte leider, bis heute sind diese sieben zutiefst und in jedem Falle toxischen Verhaltensweisen geradezu die elterlichen Idealstandard-Erziehungs-Instrumente in der überwiegenden Mehrheit aller Familien in unserem Lande und darüber hinaus…
Viele, viele, viele von uns wuchsen oder wachsen bis heute noch auf mit unzähligen schmerzhaften Erfahrungen emotionalen Mangels…
Stellen wir uns nun vor, wir hätten eine Kindheit und Jugend verbracht, in der wir immer irgendwie falsch oder ungenügend waren, so sehr wir uns auch anstrengten… Und dann taucht da urplötzlich ein Mensch in unserem Leben auf, der uns wirklich gerne mag, genau so, wie wir sind – und uns eben dies unaufgefordert von sich aus immer wieder zeigt…
Was würde diese Erfahrung mit uns machen…?
Wie lange würde es dauern, bis wir diesen Moment und diesen Menschen wieder vergessen…?
Stellen wir uns vor, wir hätten in unseren prägenden Jahren erfahren, dass unser Wert oder das Mitgefühl und Wohlwollen anderer davon abhängig ist, wie verantwortungsvoll wir dazu im Stande waren, gewisse für uns damals potenziell herausfordernde Aufgaben zu erfüllen… Und dann begegnen wir zum allerersten Mal im Leben jemandem, der oder die uns bei unseren Projekten im Leben ganz selbstverständlich und aus einem inneren Antrieb heraus unter die Arme greift, wo immer das möglich ist… Weil er oder sie uns einfach wirklich mag und Lust darauf hat, uns zu unterstützen…
Was würde diese Erfahrung mit uns machen…?
Wie lange würde es dauern, bis wir diesen Moment und diesen Menschen wieder vergessen…?
Stellen wir uns vor, wir erleben mit einem Menschen zum allerersten Mal in unserem Leben wirklich tiefe Verbundenheit, echtes Einfühlungsvermögen, bedingungslose Unterstützung oder ekstatischen Sex…
Wie lange bleiben in uns Menschen nach Erfahrungen wie diesen wohl noch emotional aufgeladene Erfahrungsspuren zurück…?
Welche Auswirkungen haben diese auf uns…?
Und warum ist genau das von Mutter Natur zumindest theoretisch geradezu brillant gefickt eingeschädelt…?
Glücksprägungen und die Liebe
Das Problem des Menschen ist nicht,
sich zu hohe Ziele zu setzen und zu scheitern,
sondern sich zu niedrige Ziele zu setzen und Erfolg zu haben.
Michelangelo Buonarroti, Künstler (1475 – 1564)
Lerne die Situation in der du dich befindest,
insgesamt zu betrachten.
Miyamoto Musashi, Samurai (1584 – 1645)
Meinen Erfahrungen und Beobachtungen an mir selbst und vielen anderen Mensch zu Folge bin ich heute der festen Überzeugung, dass nicht nur Erfahrungen von Verzweiflung, Isolation, Existenz- oder gar Überlebensangst in unserer Psyche eine dauerhaft bleibende Erinnerungsspur hinterlassen, sondern ebenso alle Arten von überwältigenden Glückserfahrungen…
Mit dieser Auffassung stehe ich nicht alleine da… Bereits im Jahre 1964 formlierte Abraham Maslow, auch bekannt für seine Annahmen über die menschlichen Grundbedürfnisse, sogenannte „Peak Experiences“ (zu deutsch: „Gipfelerfahrungen“). Maslow beschreibt diese als geradezu mystische Erfahrungen von Perfektion, All-Verbundenheit oder tiefem Staunen, die einen Menschen in seinem Innersten berühren, aufwühlen und verblüffen: „Die emotionale Reaktion auf solche Gipfelerlebnisse hat eine besondere Note von Staunen, von Ehrfurcht, Ehrerbietung, Demut und Hingabe vor dem Erlebten, so als ob man gerade etwas wirklich Großes und Bedeutendes erfahren hätte.“ Abraham Maslow weist wiederholt darauf hin, dass Erfahrungen wie diese in aller Regel einen bemerkenswerten Einfluss haben auf die Persönlichkeit und weitere Lebensgestaltung derjenigen Menschen, die sie durchlebt haben…
Meiner Auffassung nach geht es in diesen Erfahrungen weder um Perfektion, noch um Allverbundenheit oder Mystizismus, sondern sehr viel bodenständiger um Situationen oder Erlebnisse, in denen wahlweise eines oder auch mehrere unserer Grundbedürfnisse auf zuvor ungeahnte Weise Erfüllung fanden… In einer oder mehreren Hinsichten wurden wir genährt wie niemals vorher in unserem Leben…
Wir erfuhren Freiheit oder Verbundenheit, Intensität oder Anerkennung, das eigene Wachstum oder den Halt einer Gemeinschaft so deutlich oder so unvermittelt wie noch nie… „An diesem Ort, mit diesem Menschen, auf diese Weise“, so lernt unser System in Windeseile, „bin ich in der Lage, auf die eine oder andere Weise echte Fülle zu erfahren…!“ Eben darum ist es für unser System derart bedeutsam, sich Erfahrungen, oder Situtionen wie diese möglichst langfristig einzuprägen…
Dabei ist es in meinen Augen bedeutsam, dass diese emotionalen Spuren in uns weit mehr sind als Erinnerungen mit einer Bewertung daran – im Sinne von: „Dies oder jenes ist passiert, und das hat sich damals so angefühlt…“ Was außerdem geradezu zwangsläufig in uns verbleibt, ist zum einen ein mit diesen Erinnerungen integral verknüpfter Handlungsimpuls und zum anderen ein schlagartig eingebranntes Set von Schlüsselreizen, die diesen Handlungsimpuls in Kraft setzen…
Im Falle traumatischer Erfahrungen lautet dieser innerpsychische Handlungsimpuls: „Tu alles, was in deiner Macht steht, um so etwas wie dies niemals wieder erleben zu müssen…“ Welche teils grotesken oder destuktiven Mittel hierzu zum Teil gewählt werden, ist vielen von euch sicher bekannt… Jedes Trauma hinterlässt in uns eine unignorierbare Angst vor Wiederholung dessen, was wir erfahren haben… Die auslösenden Schlüsselreize werden als Trigger bezeichnet…
Doch auch im Falle überwältigend beglückender Erfahrungen speichert unser System neben den situationsspezifischen Schlüsselreizen einen sehr deutlichen Auftrag in uns ab… Dieser lautet: „Tu alles, was in deiner Macht steht, um so etwas wie dies möglichst bald wieder zu erleben und bestenfalls sogar noch zu intensivieren…“ Jede Glücksprägung hinterlässt in uns eine unignorierbare Sehnsucht nach Wiederholung und bestenfalls Intensivierung des Erlebten…
Als Begriff für Schlüssel-Reize, die uns schlagartig in einen Zustand des Glücks, der Zuversicht oder Geborgenheit versetzen, prägte Dr. Deb Dana in ihrem Buch „Die Polyvagal-Theorie in der Therapie“, dessen deutsche Fassung 2021 erschien, die zauberhafte Vokabel „Glimmer“…
Ich glaube, hierin liegt einer der bedeutendsten Gründe für alle Eifersuchtsszenarien im Umgang mit früheren Partner:innen oder Erfahrungen unseres oder unserer Liebsten: Wir alle wissen aus eigener Erfahrung heraus, dass nicht nur alles zutiefst Leidvolle, sondern auch alles Erfüllende und Nährende in uns eine Spur hinterlässt, die uns leise davon flüstert, was zu erleben möglich wäre, wenn…
Ein Mensch, der auch nur ein einziges Mal erfahren hat, wie viel an emotionaler Verbundenheit oder Beistand, an gegenseitiger Aufrichtigkeit, an tatkräftiger Unterstützung oder sexueller Ekstase ihm oder ihr zu erfahren möglich ist, wird diese Erfahrung für den Rest seines oder ihres Lebens nie wieder vergessen… Er oder sie wird sich stets danach sehnen, diese Art von Erfahrungen erneut zu erleben… Es ist möglich, diesen Menschen davon abzuhalten, zu tun, wonach er sich sehnt… Es ist jedoch nicht möglich, ihn davon abzuhalten, sich nach dem zu sehnen, was ihm einstmals so unfassbares Glück beschert hatte…
Ich glaube, im Grunde ist uns das allen längst klar… Wir haben nur Angst davor, uns dieser Wahrheit Auge in Auge zu stellen…
Je nachdem, welche Beziehung ihr selbst ganz persönlich zum Thema „Liebe und Partnerschaft“ habt, werden die folgenden Absätze für euch wahlweise inspirieren oder vielleicht ein kleines bisschen konfrontieren…
Einander bewusst lieben lernen…
Lebenslang lernen ist ein Stück Selbstverständlichkeit, und doch wird ein aufmerksamer Beobachter feststellen, dass sich die Menschen seiner Umwelt in zwei Lager aufzuteilen scheinen: die einen schon mit 40 vergreist, lustlos am Leben vorbei lebend, phlegmatisch, nicht nur körperlich feist und dick, auf dem Weg zur Senilität. Andere im Alter von 70 machen einen wendigen, optimistischen, agilen und positiven Eindruck, sind unabhängig von der Berufslaufbahn aktiv geblieben und beobachten ihre Umwelt aufmerksam und positiv. Analysiert man beide Gruppen, dann zeigt es sich, dass erstere verlernt haben, zu lernen, während letztere sich analytisches Denken und den Drang zum Leben bewahrt haben.
Reinhold Würth, Unternehmer (*1935)
Der eigentliche Zweck des Lernens ist
nicht das Wissen, sondern das Handeln.
Herbert Spencer, Philosoph (1820 – 1903)
Ich möchte dieses Kapitel einleiten mit einer Metapher, die mir über die Jahre sehr ans Herz gewachsen ist, und die ich in meinen Coachings regelmäßig verwende…
In meinen Augen gleichen wir Menschen außerirdischen High-End-Musikinstrumenten… (Wer sich noch an die Bands aus „Star Wars“ oder „Das 5. Element“ erinnert, weiß, wovon ich spreche…) Nur dass wir darüber hinaus über ein Bewusstsein verfügen… Wir alle, so glaube ich, sehnen uns zutiefst danach, dass da jemand kommt, der oder die gewillt und dazu in der Lage ist, wirklich virtuos auf uns zu spielen…
Dummerweise aber haben wir so viele Saiten, Knöpfe, Drehregler und Anzeigen, dass es geradezu unmöglich ist, auf Anhieb zu verstehen, wie man ein Instrument wie uns überhaupt bedient… Erschwerend kommt hinzu, dass auch wir selbst nie eine Bedienungsanleitung für uns selbst in unsere Hände bekommen haben… Wir selbst müssen zunächst im Laufe unseres Lebens herausfinden, welche Saite, welcher Knopf oder welcher Regler was genau auslöst in uns und welche Art von „Sound“ die eine oder die andere Berührung oder Erfahrung in uns zum Schwingen bringt…
Nun sind bewusste Selbsterfahrung und Selbstreflexion in unserer Kultur bislang leider noch keine Selbstverständlichkeiten… Das bedeutet, dass die allermeisten der überwältigend glücklichen ebenso wie die allermeisten der überwältigend schmerzhaften Erfahrungen der allermeisten Menschen in ihrer Vergangenheit nicht aktiv und bewusst initiiert und gestaltet wurden, sondern sich allzumeist eher impulsiv und unbedacht „entwickelten“ im Sinne von „Ich weiß auch nicht… Es ist einfach so passiert…“
Wenn wir lernen, aufmerksam zuzuhören und hinzuspüren jedoch, verraten uns die Glückserfahrungen unserer Vergangenheit oder auch der unseres oder unserer Liebsten wichtige Dinge über uns selbst oder unser Gegenüber… Sie verraten uns, welche Art von Erfahrungen oder Erlebnissen, Handlungen oder Worten uns selbst oder unseren Liebespartner intuitiv und unwillkürlich in einen Zustand von Glück oder Dankbarkeit, von Stolz, Geborgenheit oder sexueller Erregung versetzen… Wenn uns wirklich daran gelegen ist, unsere/n Partner:in immer mal wieder in Zustände dieser Art zu versetzen, ist ein detailliertes Wissen um die Erfahrungen seiner oder ihrer Vergangenheit nicht nur keine Gefahr… Es ist nicht weniger als der Zugang zu einer bestenfalls reich gefüllten Schatzkammer…!
Wir können die Vergangenheit weder verändern noch folgenlos verdrängen… Wir können sie allerdings erforschen und dadurch potenziell nutzbar machen für unsere Zukunft…
Sollte dein Liebster oder deine Liebste also in seiner oder ihrer Vergangenheit Dinge erlebt und erfahren haben, die sich für ihn oder sie zutiefst erfüllend oder nährend, energetisierend oder unwiderstehlich erotisierend angefühlt haben, werde neugierig auf eben diese ganz besonderen Situationen, Erfahrungen oder Partner:innen aus seiner oder ihrer Vergangenheit… Höchstwahrscheinlich waren diese Situationen, Erfahrungen oder Beziehungen eher unbewusst als bewusst gestaltet… Hier und heute nun habt ihr beide die Chance, diese ganz besonderen Situationen, Erfahrungen oder Beziehungen eurer beider Leben gemeinsam bewusst zu erforschen, zu ergründen und für euer Miteinander nutzbar zu machen…
Hierbei geht es nicht darum, zu bewerten oder zu vergleichen, sondern darum, die ganz konkreten Schlüsselreize auszumachen, die das, was er oder sie (oder du…) in der Vergangenheit erlebt hat, so besonders bezaubernd, erfüllend oder erotisch machte…
Je genauer zwei Menschen, die einander lieben und Freude daran haben, einander gut zu tun, Bescheid wissen darüber, welche Worte, welche Gesten oder welche Situationen ihren Liebespartner beglücken, berühren oder erregen, desto leichter fällt es ihnen, immer wieder genau diese Gefühle in ihrem oder ihrer Liebsten auszulösen… Das ist keine erhobener Zeigefinger, sondern reiner Pragmatismus…
Um zurückzukehren zu der Metapher mit den Musikinstrumenten: Je detaillierter und präziser ein Mensch über die spezifischen Eigenheiten eines Instruments Bescheid weiß, destol leicher wird es ihm fallen, zu lernen, auf diesem Instrument wahrhaft virtuos zu spielen…
Ich lade euch an dieser Stelle daher ganz ausdrücklich ein: Werdet neugierig aufeinander…! Insbesondere auf jedes kleine oder feine Detail darüber, was ihn oder sie glücklich macht, anregt oder erregt…! Lasst euch von ihr oder ihm erzählen, was genau es jeweils war, das diese Situationen, Erfahrungen oder Beziehungen so besonders, so nährend oder schillernd machten…
Entwickelt eine gemeinsame Neugier auf eure jeweiligen Vergangenheiten – und darauf, was an Ängsten, an Sehnsüchten oder Scham aus diesen bis heute nachwirkt… Erzählt einander von den jeweils schönsten Erfahrungen eures Lebens – seien diese aus eurer gemeinsamen Zeit oder aus euren Leben davor… Findet gemeinsam heraus, welchen potenziell winzigen Details, welchen Eindrücken oder Sinnesreizen in den vergangenen Glückserfahrungen eine besondere Bedeutung zukam, und findet anschließend gemeinsam Wege, genau diesen winzigen Glücks-Boostern einen integralen Platz in eurer Beziehung und in eurem Miteinander zu geben…
Ich will euch an dieser Stelle nichts vormachen: Es wird euch potenziell an manchen Stellen schmerzhaft zwicken, sie oder ihn von den Glücksprägungen der eigenen Vergangenheit sprechen zu hören… Vielleicht aber gelingt es euch auch, euch einzufühlen in ihr oder sein damaliges Ich und dadurch auch einen Teil der Freude zu erfahren, die er oder sie damals erleben durfte… Bestenfalls erhaltet ihr beide dadurch die Chance, das jeweils Beste aus euren bisherigen Leben in eurer heutigen Beziehung nicht nur zu reaktivieren, sondern miteinander darüber hinaus ganz bewusst und aktiv zu intensivieren, zu vertiefen und vielleicht sogar auf die eine oder andere sehr geschmackvolle Spitze zu treiben…
Hand auf’s Herz: Klingt das lecker oder nicht…?!
Sollte sich bei diesen Gesprächen herausstellen, dass das, wonach die oder der eine von beiden sich sehnt, im anderen massive Widerstände und Blockaden auslöst, ist meiner Erfahrung nach auch hier ein neugieriger und offener Umgang mit diesen das beste Mittel der Wahl… Möglicherweise führt diese Erkenntnis die beiden zunächst einmal in eine bedeutsame Krise… Sollte ihr jeweiliges „Ja!“ zueinander an diesem jedoch nicht zerbrechen, entsteht hieraus möglicherweise ein lohnender Entwicklungssprung für beide Beteiligten und auch für die Beziehung zwischen ihnen…
Virtuos lieben: Von Triggern, Glimmern und Kinks…
Güte in den Worten erzeugt Vertrauen,
Güte beim Denken erzeugt Tiefe,
Güte beim Verschenken erzeugt Liebe.
Laozi, Philosoph (6. Jh v.u.Z)
Die Summe unseres Lebens sind
die Stunden, in denen wir lieben.
Wilhelm Busch, Comic-Autor (1832 – 1908)
Bislang sprach ich in diesem Text ein wenig vereinfacht von Traumata bzw. von Glücksprägungen… An dieser Stelle möchte ich letztere noch einmal an Hand ihrer spezifischen Wirkung in zwei verschiedene Klassen differenzieren: in emotionale Glücksprägungen auf der einen und in erotische Glücksprägungen auf der anderen Seite…
Zur Benennung jener Reize, die uns instantan glücklich machen, brachte bereits die oben erwähnte Dr. Deb Dana die schillernde Vokabel „Glimmer“ ins Spiel… Als Begriff für jene teils sehr spezifischen Schlüsselreize, die uns schlagartig in einen Zustand der Erotisierung versetzen, verwende ich im Gespräch mit meinen Klient:innen die Bezeichnung „Kink“ und gebe dieser in meinem Sprachgebrauch damit gleichzeitig die folgende moralisch neutrale Definition:
„Ein Kink ist ein spezifischer Reiz oder ein Zusammenkommen mehrerer spezifischer Reize, die dazu führen, dass ein Mensch unvermittelt und unignorierbar in einen Zustand lustvoller Erregung gerät…“
Kommen wir nun also von der Theorie zur Praxis:
Wenn ihr zwei (oder drei…) also den Wunsch habt, eure Beziehung zueiander und euer emotionales Miteinander nicht unbewusst und unreflektiert vor sich hinplätschern und irgendwann voraussichtlich versanden zu lassen, sondern wirklich Lust darauf habt, einander aktiv und bewusst als sicherer Hafen und als Nährboden zum Wachsen zu dienen, solltet ihr, neben einem echten Kommitment zu Aufrichtigkeit, Mitgefühl und Wohlwollen zueinander bestenfalls außerdem über möglichst präzises Detail-Wissen in Bezug auf euch selbst und aufeinander in diesen drei psychologischen Bereichen verfügen:
01. Welche traumatisierenden Erfahrungen hat dieser Mensch in seinem Leben bereits gemacht…? Welche Trigger-Reize sind aus diesen Erfahrungen zurückgeblieben, und wie reagiert sein oder ihr Inneres darauf, wenn diese aktiviert werden…?
02. Welche emotionalen Glücksprägungen hat dieser Mensch in seinem Leben bereits gemacht…? Welche Glimmer sind aus diesen Erfahrungen zurückgeblieben, und wie reagiert sein oder ihr Inneres darauf, wenn diese aktiviert werden…?
Und nicht zuletzt:
03. Welche erotischen Glücksprägungen hat dieser Mensch in seinem Leben bereits gemacht…? Welche Kinks sind aus diesen Erfahrungen zurückgeblieben, und wie reagiert sein oder ihr Inneres darauf, wenn diese aktiviert werden…?
Je besser ihr zwei Bescheid wisst darüber, welche Schlüsselreize eure oder euren Liebste/n in Zustände von Stress oder Glück oder gar in erotische Schwingungen versetzen, desto bewusster und aktiver könnt ihr in eurem Miteiander die ersten vermeiden, während ihr (mit gegenseitiger Unterstützung) auf den zweiten und dritten von Tag zu Tag erfahrener, geschmeidiger und früher oder später schließlich sogar virtuos zu spielen lernt…
Ja, es kann sein, dass derart offene und transparente Gespräche über emotional bedeutsame Erfahrungen unserer Vergangenheit hier oder da heftige Gefühle in euch aufwühlen… Wenn das passiert, reagiert auch hier bestenfalls mit möglichst bedingungslosem Mitgefühl und Wohlwollen… Erinnert euch vielleicht auch an die drei Game-Changer: Selbstgewahrsein, Einfühlungsvermögen und Integrität…!
Geht euch selbst und einander unter die Haut und auf den Grund…! Taucht ein in eure dunkelsten, eure strahlendsten und auch eure verruchtesten oder ekstatischsten Momente… Bergt die Schätze, die in diesen Erfahrungen liegen, befreit sie von altem Rost oder Staub und beginnt damit, dieses tiefe Wissen über einander in eurem täglichen Umgang miteinander so bewusst und so aktiv wie möglich dafür zum Einsatz zu bringen, euch selbst, eure Partnerin und auch die Beziehung zwischen euch beiden zum Wachsen, Gedeihen und Blühen zu verführen…
Wenn euch dies gelungen ist, erzählt all euren Freundinnen und Freunden davon, wie…!
Wenn ihr euch dabei ein wenig professionellen Support wünscht, schreibt mir gerne eine nette Nachricht…!
Was haltet ihr von meiner Theorie der Glücksprägungen…?
Findet ihr sie verständlich und hilfreich…?
Habt ihr eine Idee, wie ihr selbst sie nutzen könnt…?
Hinterlasst mir gerne einen Kommentar…!
💜💙💚💛🧡❤️
Ihr habt Lust auf mehr Input…?
Lest sehr gerne hier weiter:
Liebe auf Augenhöhe: Menschenbild
Was ist „Liebe auf Augenhöhe“…?
Sind Liebesbeziehungen das Werk des Teufels…?
Ihr habt Interesse daran, euch selbst im Umgang mit der Lust professionell begleiten oder supporten zu lassen…? Ein Erstgespräch mit mir ist immer kostenlos und unverbindlich, aber nur selten umsonst…!
Nehmt gerne hier KONTAKT mit mir auf…!
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Eine Antwort
Tatsächlich empfinde ich es zum ersten Mal ein bisschen verwirrend beim lesen 🙂
Ich glaube das jeder erlebte Glimmer von einem noch intensiverem abgelöst wird, jeder geheilte Anteil mehr, belohnt wird.
Und wer nicht aufgibt, vom ganz grossen Knall überrascht wird.
Gerald Hüther nennt es die „Sternstunde“. Alles bisher gekannte wird abgelöst und gefühlt zum ersten Mal richtig erlebt & gespürt.
Liebe, Lust & Extase, in absolutem Vertrauen. Ohne jegliche Zweifel.