Das Gras auf der anderen Seite des Hügels – Wie du deinem Liebespartner das Fremdgehen austreibst

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gefühle: Liebe: Heilende Intimität

Das Gras auf der anderen Seite des Hügels

Wie du deinem Liebespartner das Fremdgehen austreibst

 

Worte vorweg

Falls du gerade akut emotional vom Thema Untreue/Treue betroffen bist, ist dies möglicherweise vielleicht nicht der allerbeste Zeitpunkt, um diesen Artikel zu lesen. Um Untreue zu verstehen, müssen wir die Frage der Schuld bei Seite stellen und uns mit neugieriger Offenheit in das Herz des Menschen begeben, der den Pakt der körperlichen Exklusivität einseitig bricht. Das erfordert ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Konfrontationsbereitschaft.

Die Perspektive und Herangehensweise dieses Artikels ist für manche Menschen zu bestimmten Zeitpunkten schlicht schwer verdaulich. Falls du dich im vorausgegangenen Absatz angesprochen fühlst, könnte es vielleicht klug sein, diesen Artikel zu einem späteren Zeitpunkt zu lesen.

Ich wollte es nur gesagt haben.

 

Warum Liebespartner fremdgehen

Es ist noch gar nicht lange her, da bedeutete Partnerschaft in unserer Kultur kategorisch sexuelle Exklusivität. Nach außen hin. Hinter den Kulissen sah das Ganze oft ein kleines bisschen anders aus. Doch eigentlich müssen wir nur ehrlich genug mit uns selbst sein, dann stellen wir fest, dass wir selbst in der Lage sind, uns von sehr unterschiedlichen Typen Mann oder Frau emotional und körperlich angezogen zu fühlen.

Neurobiologen, Psychologen und viele andere Forschergruppen haben in den vergangenen Jahrzehnten Großes geleistet. Wir haben inzwischen ein recht komplexes Bild von uns als Mensch. Unter anderem ist lebenslange sexuelle Exklusivität aus evolutionsbiologischer Perspektive mit allergrößter Wahrscheinlichkeit für uns Menschen eher die Ausnahme als die Regel. Es ist also zunächst einmal nicht zu unterdrücken (und damit übrigens auch nicht zu verurteilen), dass wir ab und an sexuelle oder parasexuelle Impulse in Bezug auf Menschen unserer Umgebung haben. Diese Tatsache allein bedeutet allerdings nicht automatisch, dass wir diesem Impuls auch nachgehen. Und sagt darüber hinaus nichts darüber aus, ob wir dies tun sollten oder nicht…

Ob oder in welcher Weise wir derartigen Attraktionen nachgehen, hängt weniger mit unserer freien Entscheidung zusammen als mit dem schlichten Grad unserer Sehnsucht nach bestimmten bedürfnisrelevanten Erfahrungen gekoppelt mit der praktischen Frage der Gelegenheit danach, diesen nachzugehen.

Fremdgehen allerdings ist mehr oder etwas anderes, als sich mit einem anderen Menschen als dem eigentlichen Liebespartner sexuell zu vergnügen. Fremdgehen bedeutet, dass dies hinter dem Rücken eines unwissenden Liebespartners geschieht. Nicht der Sex mit dem Anderen ist der Kern des Problems.

Die Unehrlichkeit ist es. Bei ihr müssen wir ansetzen, um zu verstehen, was im Hintergrund passiert. Die Unehrlichkeit allerdings beginnt in aller Regel bedeutend früher als der tatsächliche Akt des Fremdgehens. Heimlich still und leise…

 

Wahrheit oder Pflicht?

Auf einer Skala von 00 bis 10: Wie aufrichtig und transparent bist du mit deinem, deiner oder deinen Liebsten?

(Falls du nicht monogam, sondern polyamor liebst, gilt diese Frage für jede deiner Liebesbeziehungen separat.)

Falls deine Antwort eine 9 oder 10 ergibt: Wunderbar. Überfliege die nächsten Absätze einfach und lies bei der nächsten Überschrift weiter.

Falls deine Antwort aber einen Wert weniger als 9 oder 10 ergibt: Wie kommt es dazu?

Was an dir, glaubst du, ist für sie oder ihn so schwer zu ertragen, dass du es vorziehst, ihn oder sie darüber im Unklaren zu lassen oder sogar zu belügen? Welche Phantasie, welche Sehnsucht, welchen Teil deiner Geschichte versuchst du, zu verbergen? Wie immer deine Antwort lauten mag, halte dir vor Augen: Was immer du vor deinem Partner auch verbirgst, es ist dadurch nicht verschwunden. Es ist noch genauso da wie vorher. Nur weiß er oder sie halt nichts darüber.

Aus einer Phantasie wird eine heimliche Phantasie. Aus der Sehnsucht wird eine unterdrückte Sehnsucht. Aus der Geschichte wird eine Geschichte mit einer Lücke oder einem dunklen Fleck darin.

Was macht das mit der Phantasie?
Was macht das mit der Sehnsucht?
Was macht das mit der Geschichte?

Dies gilt für dich und für deine Partner oder Partnerinnen in gleicher Weise. Was immer ihr voreinander verbergt, hört dadurch nicht auf zu existieren. Es bewegt sich fortan nur halt außerhalb des Lichts. Und es ist kein einziges bisschen kleiner als damals, als es noch zu sehen war; nicht selten sogar wächst das aus dem Lichte Verdrängte gerade im Verborgenen zu immer unignorierbarer Größe an. Vielleicht ist es ja hilfreich für dich oder euch, das hier noch einmal so klar gesagt zu bekommen.

Jede Handlung basiert auf einer Sehnsucht oder einem Wunsch nach Mehr. Ob ich zum Sport gehe, zum Kühlschrank oder mit meiner Geliebten ins Schlafzimmer: Immer steht dahinter eine Sehnsucht, ein Bedürfnis oder ein Wunsch, den ich mir auf diese Weise zu erfüllen versuche. Das gilt auch für jeden Menschen, der seinen Liebespartner oder seine Liebespartnerin heimlich betrügt…

Hierbei muss es übrigens auch und insbesondere im Falle des Fremdgehens weder primär noch überhaupt um sexuelle Wünsche oder Sehnsüchte gehen. Vielleicht sehne ich mich danach, mich geliebt und verstanden zu fühlen, aber meine „Liebes“-Beziehung ist geprägt von Machtkampf und Streit. Vielleicht sehne ich mich nach Abenteuer und Freiheit, weil die Routine und Eingespieltheit meiner Ehe mir langweilig und fad erscheint. Vielleicht sehne ich mich nach einer Form von intellektueller, emotionaler oder eben auch körperlicher Stimulation und Intensität, die ich in meiner Partnerschaft nicht oder schon lange nicht mehr finde.

Was immer mich antreibt: Im Kern ist es eine Sehnsucht oder ein Hunger, die nach Erfüllung oder der nach Nahrung strebt.

Erlaube mir, dir an dieser Stelle die provokante Frage zu stellen:

Was weißt du über die offenen Sehnsüchte, Wünsche oder Bedürfnisse deines Partners oder deiner Partnerin? Was weiß dein Partner oder deine Partnerin darüber, was dich nährt oder wonach du dich sehnst?

 

Jede Sehnsucht strebt nach Erfüllung

Wenn wir hungrig sind, dann sehnen wir uns nach Essen. Wenn uns kalt ist, sehnen wir uns nach Wärme. Wenn wir erschöpft sind, sehnen wir uns nach Ruhe. Doch wir sehnen uns nicht nur. Wir streben auch danach. Nicht zu essen, obwohl wir Hunger haben und essen könnten (z.B. weil das gemeinsame Essen in 20 Minuten beginnt), kostet eine Menge Willenskraft. Eine Decke nicht zu nehmen, die neben uns liegt, obwohl uns kalt ist, kostet ebenfalls Willenskraft.

Ein offenes und drängendes Bedürfnis nicht zu erfüllen, obwohl wir es könnten, ist ein geistiger, emotionaler und körperlicher Kraftakt. Es bedeutet, unserer biologischen Programmierung die Stirn zu bieten. Diese allerdings ist mächtig und sitzt darüber hinaus an einigen ziemlich langen Hebeln. Darüber sollten wir uns im Klaren sein, wenn wir es ernst meinen damit, das Thema dieses Artikels wirklich verstehen und durchdringen zu wollen.

Unsere emotionalen Bedürfnisse stehen unseren körperlichen in Nichts nach. Bleiben emotionale Bedürfnisse in einer Liebespartnerschaft auf Dauer ungenährt, setzt unser System zwei miteinander verschachtelte innerpsychische Prozesse in Gang:

Zunächst beginnt eine Suchbewegung nach dem, wonach es sich in uns sehnt. Eine subtile Veränderung unserer Aufmerksamkeit führt dazu, dass uns bestimmte Männer oder Frauen in besonderer Weise ins Auge fallen.

Oh…! Der ist aber selbstsicher und dominant…!
Oh…! Die ist aber kess und verspielt…!
Oh…! Die hört mir ja wirklich zu, wenn ich erzähle…!
Oh…! Der zeigt mir aber deutlich sein Interesse an mir…!

Im Verhalten bestimmter Menschen des attraktiven Geschlechts entdecken wir Dinge, die wir lecker finden, aber in dieser Form, Klarheit oder Intensität ansonsten in unserem Leben oder Liebesleben vermissen. Zeigt die andere Person ebenfalls Interesse an uns, löst das eine fast kindliche Neugier und Entdeckungsfreude aus. Da scheint was Gutes zu sein…! Da will ich näher ran…! Davon will ich mehr…!

Diese kindliche Freude allerdings findet alsbald einen Dämpfer. Wir haben uns schließlich ausgesprochen oder unausgesprochen dazu verpflichtet, körperlich und/oder emotional nur mit einem Menschen zu verkehren. Und das ist leider nicht der Mensch, mit dem wir es gerade zu tun haben oder zu tun haben möchten.

Was wir vor uns sehen, riecht nach Genuss und Nahrung. Uns läuft das Wasser im Munde zusammen. Doch etwas zwingt uns, uns zurück zu halten…

Wir können gar nicht anders: Das, was uns bremst, verliert von ganz allein von Tag zu Tag subtil ein winziges bisschen an Attraktivität. Und wenn aus dem Appetit echter Hunger wird, beginnen wir das, was uns bremst, immer ungenierter abzulehnen oder irgendwann sogar zu hassen.

Es ist eine grundsätzliche psychologische Wahrheit: Jede (Jede!) Motivation entsteht aus einem Bedürfnis, einer Sehnsucht oder einem Wunsch heraus. Gäbe es weder ein offenes Bedürfnis, noch einen Wunsch nach Mehr, von was auch immer, hätten wir keinen Grund, uns zu bewegen.

Die Tatsache, dass ein Mensch mit seiner Entscheidung zum Betrug den Aufwand eines dauerhaften Verschleierns mit stetiger Gefahr eines wie auch immer gearteten irgendwann dann doch Auffliegens auf sich nimmt, spricht für eine treibende Kraft dahinter, die bedeutend stärker ist als eine grundsätzliche Neugier oder ein Wunsch nach Mehr. Dafür ist der Preis, den wir für unser Handeln in Kauf nehmen, schlicht und einfach zu hoch.

Wenn wir über die Hintergründe von Untreue, Täuschung und Verrat sprechen, dann müssen wir uns sehr ehrlich mit urmenschlichen Bedürfnissen befassen.

In diesem Zusammenhang spielt unsere Sexualität eine ganz besondere Rolle.

 

Sex ist kein Bedürfnis

Falls du diejenige bist, die hinter dem Rücken des Anderen Amor huldigt/e und du diesen Artikel liest, um dich selbst besser verstehen oder verteidigen zu können, muss ich dir dieses vielleicht erhoffte Argument leider versagen: Es gibt meiner festen Auffassung nach kein Bedürfnis nach Sex.

Das klingt auf Anhieb möglicherweise wenig plausibel. Nicht ohne Grund wird unsere Sexualität auch als Trieb bezeichnet. Weil es uns (die allermeisten von uns!) immer wieder danach lüstet, es mal wieder geschmeidig mit einem guten Mann oder einer guten Frau zu treiben. Es macht einfach auch, wenn es gut gemacht ist, immer wieder so richtig gute Laune.

Hier setzen wir an.

Das, was wir in unserer Sexualität erfahren, was wir in ihr finden und was uns nach ihr sehnen lässt, ist mehr als: „ein Gefühl“. Guter Sex erzeugt eine Vielzahl nacheinander und miteinander und aufeinander einwirkender Gefühlsempfindungen. Ein Feuerwerk an Hormonen wirbelt durch unsere Blutbahnen. Dieser emotionale Rausch hält länger an als die körperliche Erfahrung an sich. Stunden und Tage später noch fühlen wir genährt, geliebt und zutiefst lebendig.

Sex ist kein Bedürfnis. Insbesondere guter Sex ist bedeutend mehr. Guter Sex ist nicht weniger als ein Füllhorn. Guter Sex ist etwas, das wir tun, um uns eine ganze Vielzahl an Bedürfnissen zu erfüllen. Zugegeben: Manche davon könnten wir auch auf andere Weise nähren. Bei anderen allerdings ist das nicht so leicht.

Schauen wir hin, worum es geht:

 

Sex ist Nahrung pur

Sex ist kein Bedürfnis, weil es etwas ist, was wir tun können. Sex besteht zu einem großen Teil aus Handlungen und gerichteter Aufmerksamkeit. Bedürfnisse sind die Motivationen hinter unseren Handlungen. Unsere Handlungen sind Strategien zur Erfüllung der dahinter liegenden Antriebskraft.

Wenn wir es in Liebe und Lust miteinander treiben, dann erfüllt dieses Tun einen ganzen Blumenstrauß an Bedürfnissen. Darunter finden wir: Verbundenheit, Anerkennung und Sicherheit. Wir finden: Wirksamkeit, Freiheit, Intensität. Wir finden: Bewusstheit, Integrität, Augenhöhe. Sex, guter Sex, nährt unser System auf vielfältige Weise.

In diesem Zusammenhang stelle ich die steile These auf, dass wir in unserer Kultur bedeutend weniger Probleme mit Alkohol oder anderen Drogen zu tun hätten, wenn die Menschen hier es mehr und bewusster miteinander treiben würden. Aber das ist ein Thema für sich.

 

Der finale Akt der Selbstbehauptung

Wer seinem Partner fremdgeht, bricht dadurch einseitig und hinter dem Rücken des Anderen das offen oder unausgesprochen als gültig anerkannte Commitment sexueller Exklusivität.

Welchen Schock, welche Schmerzen und welches Leid das für den Betrogenen auslöst, davon handeln unzählige Lieder, Festmeter an Ratgeberliteratur und diverse Web- oder Social-Media-Foren, die Betroffenen Trost und Beistand spenden. Oft übersehen wird eine andere Dimension:

Die Seitenspringerin bricht erst an zweiter Stelle die Regeln ihrer vermeintlichen Liebesbeziehung. An erster Stelle bricht sie ihr eigenes Wort. Und zwar noch bevor überhaupt etwas geschieht. In dem Moment nämlich, in dem die Entscheidung fällt, dass gleich etwas passieren wird: In diesem Moment setzt sie oder er ein zuvor gegebenes Versprechen außer Kraft. In diesem Moment findet der Betrug statt. Wir ändern die für uns geltenden Regeln des Spiels, aber wir setzen unseren relevantesten Mitspieler (m/w/d) ganz ausdrücklich nicht in Kenntnis darüber.

Wer jemals einen Liebespartner bewusst betrogen hat, erinnert sich an diesen hochemotionalen Moment. Manchmal stärker sogar als an das, was an Taten danach geschehen ist.

Wer seinen Partner betrügt oder täuscht, um sich eine offene und drängende Sehnsucht zu erfüllen, der tut dies nicht nur, weil er dieses Bedürfnis in seiner Beziehung gerade nicht erfüllt bekommt. Denn wir alle sind im Grunde eher bequem. Würden wir eine halbwegs reelle Chance sehen, dass wir uns das, wonach wir uns sehnen, auch mit unserer Partnerin oder unserem Partner erfüllen könnten, warum sollten wir dann den ganzen Aufwand mit der Heimlichtuerei, dem Versteckspiel und der ständigen Gefahr des Überführtwerdens auf uns nehmen?

Mal ganz offen unter Klosterschüler:innen: Es ist doch bei Lichte betrachtet viel leichter, mit unserem Partner oder unserer Partnerin über unsere Wünsche und Bedürfnisse zu sprechen, als ein Gebilde aus Heimlichkeiten und Unwahrheit zu errichten, das noch dazu jederzeit davon bedroht ist, in sich selbst zusammenzubrechen. Dass dennoch so viele von uns immer noch und immer wieder ihren Partner belügen und täuschen, sagt in meinen Augen übrigens weniger über unsere grundlegenden Fähigkeiten aus als über unsere bisherigen Vorbilder im Umgang mit derlei Dingen.

Wenn meine Partnerin mir fremdgeht, dann bedeutet das nicht nur, dass sie bei mir nicht das findet, wonach sie sich sehnt. Sondern darüber hinaus, dass sie alle Hoffnung darauf aufgegeben hat, ihre offenen Wünsche, Sehnsüchte oder Bedürfnisse mit mir gemeinsam jemals auf partnerschaftliche Weise zu nähren und zu erfüllen.

Der Seitensprung ist im Kern ein Akt der Resignation und der Kapitulation.

Es kann verschiedene Gründe dafür geben, warum meine Partnerin den Glauben an mein Wohlwollen oder meine Unterstützung verloren hat. Manche davon liegen in ihrer Kindheit, andere in ihren bisherigen Erfahrungen mit den Liebespartner:innen vor mir. Manche dieser Gründe liegen aber möglicherweise nicht zuletzt darin, wie ich bislang damit umgegangen bin, wenn sie mir ihre Wünsche, Sehnsüchte oder Bedürfnisse offenbarte.

Wie gehe ich damit um, wenn ich erfahre, dass mein Partner sich etwas wünscht, das ich ihm bislang nicht geben will oder geben kann?

Wie reagiere ich darauf, wenn meine Partnerin sich etwas wünscht, das mir fremd, herausfordernd oder schambesetzt erscheint?

Reagiere ich mit Neugier, Mitgefühl und partnerschaftlichem Interesse? Oder reagiere ich mit Abwehr, Rechtfertigungen oder gar Verachtung darauf? Möchte ich wissen, wie es im Herzen meiner Liebsten wirklich aussieht? Oder versuche ich auf subtile oder brachiale Weise, zu kontrollieren, was sie denkt, was sie fühlt und was sie für erstrebenswert und möglich hält?

Wie moralisch wir auch den Menschen abwerten mögen, der Lüge und Täuschung wählt, um seine Wünsche, Sehnsüchte oder Bedürfnisse zu stillen, für ihn oder sie selbst ist die Entscheidung zum Seitensprung im zweiten Schritt ein finaler Akt der Selbstliebe und Selbstbehauptung.

    

Wer fremdgeht, sagt sich selbst: Ja, ich darf!

Ja! Ich darf leidenschaftlich und lustvoll sein!
Ja! Ich darf unverschämt und gierig sein!
Ja! Ich darf Geborgenheit fühlen!
Ja! Ich darf mich als Mann oder Frau in meiner ganzen Schönheit und Herrlichkeit preisen und ehren lassen!
Ja! Ich darf mich schön, begehrenswert und saftig fühlen!
Ja! Ich darf frei sein!
Ja! Ich darf …!

                         

Eine möglicherweise vielleicht unangenehme Wahrheit

Viele Männer und Frauen fühlen sich nach einem Seitensprung oder nach dem Sex mit ihrem Geliebten erfrischt, verjüngt und aufgeladen mit Energie. Sie haben zwar ein schlechtes Gewissen ob ihrer Lüge, aber darunter fühlen sie sich kraftvoll, saftig, geschmeidig, verwurzelt, genährt, schön… Kurz: Sie fühlen sich durch und durch lebendig.

Ich frage dich gerade heraus und vielleicht sogar ein wenig brutal:

Willst du einen Mann (eine Frau), der (die) durch und durch lebendig ist? Ja oder nein?

Willst du einen Partner, der saftig ist, geschmeidig und voller Energie? Oder willst du lieber der Liebespartner eines Menschen sein, der sein oder ihr eigenes Leben mit angezogener Handbremse lebt, steif, spröde und bitter?

Wenn wir hier ganz genau hinschauen, dann müssen wir einander vielleicht eingestehen: Der Sex mit em oder der Anderen hat deinen Partner mehr zu dem gemacht, wie du ihn oder sie besonders gerne magst. Nämlich lebendig, erfrischt und schwungvoll. Richtig oder falsch?

Das macht schon ein bisschen nachdenklich, oder?

                         

Untreue verhindern, indem wir ihr den Nährboden nehmen

Ich oute mich auch an dieser Stelle wieder als Weder-Noch-Sowohl-Als-Auch: Ich bin weder ein Verfechter der offenen und polyamoren Liebesstile, noch bin ich ein Anhänger der exklusiven Monogamie. Und dennoch sehe ich in beiden Liebeswegen neben großer Herausforderungen ein wundervolles Potenzial.

Es gibt eine Reihe guter Gründe dafür, sich mit seinem Partner auf eine sexuelle Exklusivität zu vereinbaren. Dann ist die sexuelle Treue ein Teil des sich selbst und einander gegebenen Commitments. In so einem Fall ist es nicht von Nachteil, um ein paar Dinge zu wissen, die die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Seitensprüngen und Affairen bekanntermaßen verringern oder aber erhöhen können.

Untreue gedeiht auf dem Boden von Unzufriedenheit und Unehrlichkeit. Wer sich in seiner Partnerschaft und Sexualität wirklich geachtet, geliebt und wohlgenährt fühlt, den wird kein hübsches Augenpaar, keine sexy Stimme und kein knackiges Hinterteil dazu bewegen können, all dies für eine letztlich bedeutungslose Vergnügung in Frage zu stellen oder über Bord zu werfen.

Wenn du dafür sorgen möchtest, dass dein Partner dir gegenüber in jeder Hinsicht treu und loyal ist, dann sei du ihm in jeder Hinsicht treu und loyal!

Damit meine ich: Interessiere dich für deinen Partner! Reagiere neugierig, offen und interessiert auf das, was er dir über seine Gefühle, Wünsche oder Sehnsüchte erzählt! Sei mutig: Frage sie von dir aus, wovon sie sich mehr oder weniger wünscht! Höre ihr zu, wenn sie darüber spricht, was ihr fehlt, oder wonach sie sich sehnt!

Widerstehe dem Impuls, dich gegen seine offenen Bedürfnisse oder Sehnsüchte abzuschotten, ihn abzuwerten dafür oder gar zu bestrafen! Bleibe in der Liebe!

Ich weiß aus eigener Lebenserfahrung heraus: Das ist manchmal leichter gesagt als getan.

                         

Das Spiel selbst macht uns zu Verlierern

Nur wenige von uns hatten in ihren prägenden Jahren Vorbilder dafür, was es heißen kann, in einer Liebesbeziehung Bedürfnisse und Wünsche partnerschaftlich zu kommunizieren. Die meisten von uns haben bereits früh gelernt, dass es im Leben und insbesondere in der Liebe an erster Stelle um Gewinnen und Verlieren geht.

Zwar bezeichnet unsere Kultur die Liebe als ein Spiel. Jedoch ist es für die meisten von uns ein Spiel, das wir nicht mit-, sondern gegeneinander spielen. Es geht um dich oder mich, um deine Wünsche oder meine, um dein Glück oder meins.

Ein solches Spiel lädt nicht gerade ein zu bedingungsloser Aufrichtigkeit, zu tief verankertem Mitgefühl und zu unkorrumpierbarem Wohlwollen. Es lädt ein zu Konkurrenz, zu Manipulation, zu Machtdemonstrationen und Drohgebärden. Und da dieses Spiel mit jeder Runde mindestens einen Verlierer erzeugt, tränkt es den Boden der Beziehung beständig mit Unzufriedenheit.

Es ist das Spiel selbst, das den Nährboden erschafft für Unzufriedenheit und Unehrlichkeit. Der Seitensprung ist, auch wenn es vielleicht hart klingen mag, aus dieser Perspektive betrachtet nicht nur nicht verwunderlich. Er ist geradezu eine zwangsläufige Folge dessen, wie wir in unserem Alltag und im Schlafzimmer miteinander landauf, landab interagieren.

Es ist das Spiel selbst, das uns zu Verlierern macht.

Es wird Zeit für ein neues Spiel.

                         

Stell dir vor: Liebe 2.0

Stell dir vor:

Stell dir vor, es wäre möglich, dich deinem Partner oder deiner Partnerin wirklich und wahrhaftig zu offenbaren… Stell dir vor, es wäre möglich, deinem, deiner oder deinen Liebsten wirklich alles zu zeigen, was dich bewegt… Stell dir vor, es wäre möglich, dass sich der Mensch, den du liebst, in seiner Beziehung zu dir so sicher, geliebt und geborgen fühlt, dass er überhaupt keinen Grund dafür findet, auch nur einen Bruchteil von sich selbst vor dir verbergen zu müssen.

Das bedeutet nicht, dass alles ausgesprochen, gesagt und gezeigt werden muss. Aber es bedeutet, dass alles, was ist, ausgesprochen, gesagt und gezeigt werden darf.

Stell dir vor, es wäre möglich, dass dein Liebster über seine offenen Wünsche oder Sehnsüchte mit dir spricht, ohne dass du dich dadurch angegriffen, entwertet oder beschämt fühlst… Sondern Mitgefühl empfindest für die Transparenz und Verbundenheit, die er dir damit beweist.

Stell dir vor, dass seine Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit nicht Abwehr auslöst, sondern dein Herz berührt. Und jetzt stelle dir vor, es wäre möglich, dass ihr beiden gemeinsam darüber sprecht, wie ihr gemeinsam dazu beitragen könnt, dass ihr beide euch in eurer partnerschaftlichen Beziehung genährt, geliebt und von ganzem Herzen erfüllt fühlt…

Wenn du dir das, was ich hier beschreibe, vorstellen kannst, dann hast du eine Ahnung davon, was ich meine mit dem Begriff „Liebe 2.0“.

Diese Art von Liebesbeziehung, von der ich hier schreibe, braucht ein hohes Maß an Selbstgewahsein, an Einfühlungsvermögen und Integrität. Es braucht Qualitäten, für die es in unserer Kultur nur wenige Vorbilder gibt. Diese Art von Liebesbeziehung können wir höchstwahrscheinlich nicht einfach von unseren Eltern, unseren Freunden oder von medialen Vorbildern kopieren. Wir müssen sie selbst immer wieder neu erfinden.

Das, wovon ich hier spreche, ist neu und kontraintuitiv. Es ist aufwühlend, weil es uns immer wieder miteinander und mit uns selbst konfrontiert. Das ist die schlechte Nachricht: Liebe 2.0 ist nichts für Faulpelze und Hasenfüße. Sie ist etwas für Menschen, die den Mut haben, sowohl einander als auch sich selbst wahrhaftig und ungeschminkt in die Augen zu sehen.

Wahr ist aber auch: Wer eine solche Liebe erlebt, hat keinen Grund dazu, diese durch Täuschung oder Lügen in Gefahr zu bringen. Denn: Warum sollte er?

Das klingt gut und ist doch gleichzeitig zu groß, zu hoch, zu schwer, und du fragst mich, was du machen sollst?

Mach es dir nicht so groß, so hoch, so schwer!

Lebe ein winziges bisschen davon von diesem Augenblick an. Wenn es sich gut anfühlt, dann lebe ein winziges bisschen mehr. Und so weiter. So einfach darf es sein. Eine Messerspitze mehr Ehrlichkeit. Eine Prise mehr Neugier. Ein Spritzer mehr Glaube an einen gemeinsamen Weg. Vielleicht ein Hauch Humor, der uns wieder miteinander übereinander lachen lässt. Das wär‘ doch was. Von Tag zu Tag … zu Woche … zu Jahr.

Ein Elefant isst sich, das weiß der Volksmund am allerbesten, filetiert in hauchdünnen Scheiben.

                         

💜💙💚💛🧡❤️

                                  

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Fremdgehen: Wie kannst du dich schützen…?

Beziehung oder Partnerschaft

Treue 2.0

Sind Liebesbeziehungen das Werk des Teufels…?!

                  

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9 Antworten

  1. Volker vielen Dank, dass ist dein bester Artikel. So gut geschrieben und zu verstehen und so schwer, zu leben. Insbesondere, wenn man, so wie ich, keine Hoffnung auf Besserung sieht. Wenn der eigene Mann, seit Jahren, Alkohol heimlich konsumiert und kein Liebhaber mehr sein kann, und mein Frust so groß ist, dass ich es auch gar nicht mehr will, diesen Mann als Liebhaber. Mir deswegen einen anderen Mann wünsche, und trotz etlicher Versuche, nicht das Gefühl habe, mit ihm offen reden zu können. Weil er mich schon so oft deswegen verurteilt hat. Als vomSatan besessen, als verderbt..
    ich muss weinen. Entschuldige bitte

  2. Lieber Volker,
    Ich habe den Artikel mit zeitlichen Abstand mal wieder gelesen. Er ist klar und lädt mich ein achtsamer mit meinem Partner und mir umzugehen.
    Vielen Dank für Deinen brillanten Artikel!

  3. Wenn es nur so einfach wäre.
    Der Artikel ist insgesamt gut geschrieben und zeigt Verständnis zum Thema.
    Eine (ganz gewaltige) Macke hat er aber. Die subtile Behauptung, dass die Leidtragenden beim einem Seitensprung irgendwie doch Mitschuld tragen. Das ist fast nie der Fall. Ja, wir sind alle emotionalen Kreaturen und ja, unser Unterbewusstsein ist mindestens genauso stark wie unser rationalen Sein. Fremdzugehen ist aber immer eine rationale, bewusste Entscheidung der Fremdgeher/innen, die die Leidtragenden eben nie beeinflussen könnten. Es ist ein ungesunder Bewältigungsmechanismus, der immer vermieden werden kann. Aber nur von den Fremdgehenden. Man kann der beste Partner (veraucuen zu) sein und trotzdem kann es zum Betrug kommen. Es gibt genügend Beispiele von glücklichen Familien mit Betrug Fällen. Denn es kann immer was in der Seele des/der Fremdgehers/in geben, das der/die Partner/in nie erfüllen kann (oder niemand in diesem Sinne).

    1. Gehe doch noch einen Schritt weiter in deiner Logik, Odo: „… Denn es kann nicht nur, es wird immer was geben, das der/die Partner/in nie erfüllen kann.“

      Wo führt das hin? Zugegeben, auch eine subtile Behauptung. Aber prüfe sie doch mal im Konkreten, denn es geht ja um deine bzw. um meine bestimmte Partnerschaft.

  4. Zitat:
    „Mal ganz ehrlich unter uns zwei Klosterschülern: Es ist doch im Grunde viel leichter, mit unserem Partner über unsere Wünsche und Bedürfnisse zu sprechen, als ein Gebilde aus Heimlichkeiten und Unwahrheit zu errichten, das noch dazu jederzeit in sich selbst zusammen brechen kann.“

    Dem möchte ich widersprechen: ist es eben manchmal NICHT! Bei sowieso schon auswegsloser Situation, z.B. bekannter sexueller Neigung wie einer Asexualität, ist es eben (bei nicht zur Sprache stehendem öffnen der Beziehung) stressfreier, heimlich fremdzugehen oder eine Affäre aufzubauen. Diskutieren bringt da nichts!

  5. Genau das ist es, lieber Volker, was ich versucht habe meinem Ex zu erklären. Er hat mir Sachen versprochen, die er gar nicht hat halten können, weil er seine eigenen Bedürfnisse nicht gesehen hat und diese deswegen auch nicht klar kommunizieren konnte. Er war nicht ehrlich zu und mit sich selbst und somit auch nicht mit mir.
    Und genau das ist leider die Krux an der ganzen Geschichte: so lange wir nicht fähig sind, unsere eigenen Bedürfnisse, Sehnsüchte und Grenzen zu erkennen, können wir viel behaupten, dass uns viel an einer offenen und klaren Kommunikation liegt, aber im Grunde ist sie so nicht wirklich möglich.
    Sie ist möglich, wenn wir uns eingestehen, dass wir bei uns anfangen müssen, langsam, achtsam und selbstreflektierend in der Innenschau – gerne mithilfe des anderen… das kann sehr weh tun, aber nur so kann der Elefant überhaupt filetiert werden 😉

  6. Man mag den Betrug als „finalen Akt der Selbstliebe und Selbstbehauptung“ sehen. Es ist tatsächlich die finale Ausprägung von Egoismus. Und mit gleichem Argument als „finale Selbstliebe“ könnte man bei jedem vollkommen rücksichtslosen Menschen analog argumentieren, der raubt, stiehlt oder gar aus Berechnung mordet.

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