Die Liebe wühlt uns auf. Sie konfrontiert uns. Mit Ängsten, mit Selbstzweifeln und Scham. In all dem jedoch fordert sie uns heraus. Sie fordert uns auf, unsere Mauern und Schleier fallen zu lassen, damit wir uns wahrhaftig begegnen können.
Kaum jemand hat diese Aufforderung der Liebe schöner und entschlossener in Worte gefasst, als die kanadische Schriftstellerin, die sich Oriah Mountain Dreamer nennt.
Ihr flammendes Plädoyer für die Wahrhaftigkeit trägt den bescheidenen Titel:
Die Einladung
Es interessiert mich nicht, womit du dein Geld verdienst.
Ich will wissen, wonach du dich sehnst und ob du
die Erfüllung deines Herzenswunsches zu träumen wagst.
Es interessiert mich nicht, wie alt du bist.
Ich will wissen, ob du es riskierst, dich zum Narren zu machen
auf deiner Suche nach Liebe, nach deinem Traum,
nach dem Abenteuer des Lebens.
Es interessiert mich nicht, welche Planeten ein Quadrat zu deinem Mond bilden.
Ich will wissen ob du deinem Leid auf den Grund gegangen bist
und ob dich die Ungerechtigkeiten des Lebens geöffnet haben,
oder ob du dich klein machst und verschließt,
um dich vor neuen Verletzungen zu schützen.
Ich will wissen, ob du Schmerz – meinen oder deinen eigenen –
ertragen kannst, ohne ihn zu verstecken, zu bemänteln oder zu lindern.
Ich will wissen, ob du Freude – meine oder deine eigene – aushalten,
dich hemmungslos dem Tanz hingeben und jede Faser deines Körpers
von Ekstase erbeben lassen kannst, ohne an Vorsicht und Vernunft zu appellieren
oder an die Begrenztheit des Menschseins zu denken.
Es interessiert mich nicht, ob das, was du mir erzählst, wahr ist.
Ich will wissen, ob du andere enttäuschen kannst,
um dir selbst treu zu bleiben;
ob du den Vorwurf des Verrats ertragen kannst,
um deine eigene Seele nicht zu verraten;
ob du treulos sein kannst, um vertrauenswürdig zu bleiben.
Ich will wissen, ob du die Schönheit des Alltäglichen erkennen kannst,
selbst wenn sie nicht immer angenehm ist
und ob ihre Allgegenwärtigkeit die Quelle ist,
aus der du die Kraft zum Leben schöpfst.
Ich will wissen, ob du mit Unzulänglichkeit leben kannst
– meiner oder deiner eigenen – und immer noch am Seeufer stehst
und der silbrigen Scheibe des Vollmonds ein uneingeschränktes „JA!“ zurufst.
Es interessiert mich nicht, wo du wohnst, oder wie reich du bist.
Ich will wissen, ob du nach einer kummervoll durchwachten Nacht
zermürbt und müde bis auf die Knochen aufstehen kannst,
um das Notwendige zu tun, damit deine Kinder versorgt sind.
Es interessiert mich nicht, wen du kennst, oder wie du hierher gekommen bist.
Ich will wissen, ob du inmitten des Feuers bei mir ausharren wirst,
ohne zurückzuweichen.
Es interessiert mich nicht, wo oder was oder mit wem du studiert hast.
Ich will wissen, was dich von innen heraus trägt, wenn alles andere wegbricht.
Ich will wissen, ob du mit dir selbst allein sein kannst und ob du den,
der dir in solch einsamen Momenten deines Lebens Gesellschaft leistet,
wirklich magst.
Oriah Mountain Dreamer (* 1954)
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