Fragebogen zur Ermittlung
des persönlichen ACE-Wertes
ACE = Adverse Childhood Experiences
(Ungünstige Kindheitserfahrungen)
Einführung
Psychische Traumatisierungen sind in unserer Kultur weiter verbeitet, als viele dies vermuten. Das liegt zum Teil daran, dass der Begriff des „Traumas“ in unserer Alltagssprache in der Regel dazu genutzt wird, um einmalige und massiv belastende Ereignisse oder Erfahrungen zu beschreiben – wie einen Krieg, eine Vergewaltigung oder den Tod eines geliebten Menschen. Solche Erfahrungen werden heute unter dem Begriff „Schocktrauma“ zusammengefasst. Das Spektrum der traumatisierenden Erfahrungen ist jedoch bei Weitem breiter. Und überdies sehr viel subtiler.
Ein psychologisches Forschungsfeld, das bislang noch sehr jung ist, beschäftigt sich intensiv mit der Fragestellung, welche physischen oder psychischen Auswirkungen auch weniger offensichtliche und massive Situationen emotionaler Belastung oder Überforderung mit sich bringen können. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, deren Gehirne wie Psychen gerade erst im Aufbau sind, haben emotional überfordernde Erfahrungen, wie man heute weiß, messbare und häufig langfristige Auswirkungen in Hinblick auf hirnphysiologische wie psychologische Faktoren. Derartig prägende Erfahrungen werden heute unter dem Begriff der „Entwicklungs-“ bzw. „Bindungstraumata“ zusammengefasst.
Ein weiteres häufiges Missverständnis im Umgang mit Traumata besteht darin, dass Menschen glauben, der Begriff „Trauma“ beschreibe ein Ereignis, also etwas, das einem Menschen passiert. Es zeigt sich jedoch immer wieder, dass Menschen (wie andere Tiere auch) teils recht unterschiedlich auf sehr ähnliche Erfahrungen reagieren.
Das Wort „Trauma“ beschreibt daher nicht etwas, das im Außen passiert, sondern die innere Reaktion des Systems auf diese äußeren Reize oder Erfahrungen. „Trauma“ bezeichnet einen psychischen Zustand, in dem das System von den eingehenden Reizen (welcher Art auch immer) derart überfordert ist, dass es an diesen nachhaltig bleibenden Schaden nimmt.
Ist ein Mensch (oder ein anderes Tier) während seiner Kindheit und Jugend fortwährend oder häufig wiederholt Erfahrungen ausgesetzt, die seine physischen, psychischen oder emotionalen Kapazitäten schwer überfordern, besteht die Gefahr, dass sich hieraus ein Zustand erhöhter Angespanntheit und Alarmbereitschaft chronizifiert. Teilweise führt dies dazu, dass die betroffenen Menschen aufgeben, bevor sie überhaupt beginnen. Andere entwickeln aus ganz ähnlichen Erfahrungen heraus eine permanente Kampf- und Durchsetzungsbereitschaft. Dies führt, ähnlich wie ersteres, recht häufig zu körperlichen, emotionalen und/oder sozialen Verspannungen.
Der hier vorliegende „Fragebogen zur Ermittlung des persönlichen ACE-Wertes“ ist die (an wenigen Stellen modifizierte) Übersetzung des Fragebogens „Finding Your ACE-Score“ des National Council of Juvenile and Family Court Judges aus den USA. Jede der in ihm abgefragten „Adverse Childhood Experiences“ (Ungünstige Kindheitserfahrungen) hat nachweislich statistisch signifikante Auswirkungen in Bezug auf eine Vielzahl körperlicher wie psychischer Störungen. Hierunter fallen Schlaganfall und Herzinfakt, Krebs, Diabetes, Übergewicht, Depression und eine Reihe weiterer Befunde.
Auswertung: Die Summe deiner positiven Antworten ergibt deinen ACE-Wert.
Je höher dieser liegt, desto höher ist dein Risiko, im Laufe deines Lebens eine erhebliche körperliche und/oder psychische Störung zu erwerben und/oder eine Neigung zu gesundheits- oder sozial schädlichen Verhaltensweisen zu entwickeln. Jeder einzelne ACE-Punkt jedoch hat voraussichtlich Folgen auf unsere Wahrnehmung und Interpretation der Welt. Dies gilt insbesondere, aber nicht nur in Situationen, die für uns verbunden sind mit großem emotionalen Stress.
Kurz gesagt: Je höher dein ACE-Wert, desto wahrscheinlicher ist es, dass du im Laufe deiner Kindheit und/oder Jugend Situationen erlebt hast, die deine psychischen und emotionalen Kapazitäten derart überstiegen, dass aus diesen heraus in deiner Psyche Schlüsselreize angelegt wurden, die dich auch heute als Erwachsener noch in deinem Verhalten prägen.
Hinweis: In den offiziellen Auswertungen der Fragebögen ist „4 und mehr“ die höchste Kategorie. Ein A.C.E.-Score von 2 ist daher keinesfalls als ein niedriger Wert zu deuten. In den bisherigen Studien lag der durchschnittliche A.C.E.Wert aller Teilnehmenden bei etwas mehr als 1,5.
Hinweis: Diese Schlüsselreize und unsere einkonditionierten Reiz-Reaktions- Schemata zu entlarven und besten- falls schließlich in Echtzeit als eben solche zu erkennen, ist ein überaus bedeutsamer psychologischer Schritt auf dem Wege dahin, diesen Mustern ihre Macht über uns zu nehmen. Ein weiterer überaus hilfreicher Schritt der Integration unserer Vergangenheit besteht darin, dass wir über eben diese Schlüsselerfahrungen und ihre Auswirkungen auf unser Erleben im Hier und Jetzt in vertrautem Rahmen mit nahen Freunden und insbesondere mit unseren Liebespartner:innen zu sprechen beginnen. Nicht zuletzt ist dies eine großartige Gelegenheit dafür, uns davon zu überzeugen, dass wir mit derartigen Schatten aus der Vergangenheit alles andere als alleine sind.
Hinweis: In diesem Fragebogen nicht erfasst sind potenziell traumatisierende Erfahrung durch gesundheitliche Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt sowie weitere Stresserfahrungen der Mutter während der Schwangerschaft. Da ein Kind während seiner Schwangerschaft direkt mit dem Blutkreislauf der Mutter verbunden ist, erlebt es jede Hormonausschüttung ihres Körpers in Echtzeit mit. Dies gilt ebenso für Endorphine und andere Glückshormone wie für Adrenalin, Cortisol und alle weiteren Stress- oder Überlebenshormone. Empfindet eine werdende Mutter während ihrer Schwangerschaft anhaltenden Stress, so kann auch dies lebenslange und erhebliche Auswirkungen auf das Gehirn und die Psyche des in ihr heranwachsenden Menschen haben.
Fragebogen zur Ermittlung
des persönlichen ACE-Wertes
Im Laufe deiner ersten 18 Jahre deines Lebens:
01.
Hat ein Elternteil oder ein anderer im Haushalt
lebender Erwachsener dich oft oder sehr oft:
beschimpft, bestraft, beschämt, beleidigt,
abgewertet oder erniedrigt?
oder
sich in einer Weise verhalten verhalten, dass
du Angst hattest, körperlich verletzt zu werden?
[ ] Ja [ ] Nein
Wenn ja, trage hier bitte eine 1 _______ ein
02.
Hat ein Elternteil oder ein anderer im Haushalt
lebender Erwachsener dich oft oder sehr oft:
geschupst, gegriffen, schlagen oder mit etwas
auf dich geworfen?
oder
dich jemals derart hart geschlagen, dass davon
Flecken oder andere Spuren zurückblieben?
[ ] Ja [ ] Nein
Wenn ja, trage hier bitte eine 1 _______ ein
03.
Hat ein Elternteil oder ein anderer im Haushalt
lebender Erwachsener dich jemals:
in sexueller Weise berührt oder gestreichelt
oder
hast du seinen/ihren Körper auf sexuelle Weise
berührt?
oder
hattest du jemals versuchten oder tatsächlichen
Oral-, Anal- oder Vaginalverkehr mit ihm/ihr?
[ ] Ja [ ] Nein
Wenn ja, trage hier bitte eine 1 _______ ein
04.
Hattest du oft oder sehr oft den Eindruck, dass
niemand in deiner Familie dich liebt oder dich
für wichtig oder besonders hielt?
oder
du in deiner Familie wenig an Liebe, Schutz
oder Unterstützung finden kannst?
[ ] Ja [ ] Nein
Wenn ja, trage hier bitte eine 1 _______ ein
05.
Hattest du oft oder sehr oft den Eindruck,
nicht genug zu essen zu haben, schmutzige
Kleidung zu tragen oder niemanden zu haben,
der/die dich beschützt?
oder
dass deine Eltern zu betrunken oder zu high
waren, um sich um gut für dich da zu sein oder
dich im Notfall auch zum Arzt zu bringen?
[ ] Ja [ ] Nein
Wenn ja, trage hier bitte eine 1 _______ ein
06.
Haben sich deine Eltern jemals getrennt
oder scheiden lassen?
[ ] Ja [ ] Nein
Wenn ja, trage hier bitte eine 1 _______ ein
07.
Wurde ein anderes Mitglied deiner Familie oft
oder sehr oft
geschupst, gepackt, geschlagen oder mit etwas
beworfen?
oder
Wurde er oder sie manchmal, oft oder sehr oft
getreten, gebissen, mit der Faust oder mit
einem harten Gegenstand geschlagen?
oder
Wurde sie oder er jemals mehrere Minuten lang
wiederholt geschlagen oder mit einer Waffe oder
einem Messer bedroht?
[ ] Ja [ ] Nein
Wenn ja, trage hier bitte eine 1 _______ ein
08
Hast du mit jemandem zusammengelebt, der/die
ein/e Problemtrinker:in oder Alkoholiker:in war
oder Straßendrogen konsumierte?
[ ] Ja [ ] Nein
Wenn ja, trage hier bitte eine 1 _______ ein
09.
War ein Haushaltsmitglied chronisch depressiv
oder auf andere Weise psychisch krank?
oder
Hat ein Haushaltsmitglied jemals einen
Selbstmordversuch unternommen?
[ ] Ja [ ] Nein
Wenn ja, trage hier bitte eine 1 _______ ein
10.
Wurde ein Haushaltsmitglied jemals zu
einer Gefängnisstrafe verurteilt?
[ ] Ja [ ] Nein
Wenn ja, trage hier bitte eine 1 _______ ein
Aus der Summe deiner in diesem Fragebogen
positiv beantworteten Fragen ergibt sich dein
persönlicher A.C.E.-Score: _______
Was sagt mir dieses Ergebnis…?!
Für sich genommen sagt die Zahl, die du in diesem Test ermittelt hast, wenig mehr aus als dass du (oder eben nicht) in den Jahren des Grundaufbaus deines Gehirns und deiner Psyche möglicherweise Erfahrungen gemacht hast, die einen traumatisierenden Effekt auf dich hatten.
Diese Effekte sind, da sie so früh auftraten, oftmals tief in unserer Psyche vergraben. Möglicherweise halten wir sie inzwischen längst für einen Teil unserer ganz normalen Persönlichkeit. Im Sinne des beliebten: „Ich bin halt so…!“
Derartig subtil eingewobene Traumata zeigen sich zum Beispiel an Phänomenen wie dem Auftreten dissoziativer Zustände oder unkontrollierter Emotionalität unter Stress oder in Reaktion auf unterbewusst verankerte Schlüsselreize.
Solltest du selbst oder dir emotional nahe Menschen derartige Phänomene an dir beobachten, ist es gut möglich, dass in diesen die Nachwirkungen früherer Traumatisierungen sichtbar werden.
Die Kenntnis der eigenen Traumatisierungserfahrungen, der aus ihnen in uns verbliebenen Schlüsselreize und unserer damals erworbenen Schutz-Reaktionen ist ein essenziell wichtiger Schritt auf dem Weg dahin, die emotionalen Konditionierungen unsere Kindheit und Jugend als Teil unseres eigenen Werdensweges zu integrieren.
Anders gesagt: Unsere alten Muster verlieren ihre Macht über uns, sobald wir den hinter ihnen stehenden Erfahrungen einen guten und stimmigen Platz in unserer eigenen Lebensgeschichte zu geben vermögen.
Hat dir dieser Fragebogen weitergeholfen…?!
Hinterlasse mir gerne einen Kommentar!
Lies hier weiter:
Wer ist ‚ich‘? (Der Fliegende Holländer)
Die psychischen Grundbedürfnisse des Menschen
5 Antworten
zur Fragestellung Trennung bzw Scheidung
Ist eine zerrütete Ehe weiterzuführen nicht ebenso schädlich oder noch schädlicher als eine Trennung. was wird den Kindern hier vermittelt?
Hey, liebe Marlies…!
Ich glaube, das kommt tatsächlich ganz auf die Umstände an…
In der Tat aber frage ich mich ein bisschen, worauf du mit deiner Frage anspielst, was diesen Artikel angeht…
Liest du aus diesem Text wirklich heraus, ich würde den Menschen empfehlen, zerrüttete und dysfunktionale Beziehungen unangetastet fortzuführen…?
Ich sehe das ähnlich. Ich glaube keinem kind tut es gut in einer Familie auf zu wachsen in der sich Eltern nur streiten. Wenn sie sich trennen und den Kreislauf durchbrechen die Kinder sehen Mama und Papa können sich so besser begegnen und jetzt trotzdem für die Kinder als Eltern da sein – denke ich das Kinder dann auch ohne größeren Schaden aus einer Trennung rausgehen können- dennoch glaube ich das wir alle Erfahrung machen die uns prägen und das kein Elternteil alles richtig macht. Aber natürlich sollten sich Eltern immer reflektieren und gewisse Verhaltensweisen sind natürlich ein absolutes no Go!
Ich habe auf diesem Fragebogen 6 Punkte erreicht und es überrascht mich nicht. Lange Zeit habe ich mich in meinem Leben nicht von den negativen Kindheitserlebnissen befreien können. Aber mit knapp 53 fühle ich mich dennoch befreit davon und glaube an die Möglichkeit der Selbstheilung.
Zunächst mal wird hier ein wichtiges Thema behandelt. Wer sich über sein mögliches Traumapotential noch keine bis wenig Gedanken gemacht hat, bekommt hier schon mal einen groben Überblick. Dass ausgerechnet Schwangerschaft und Geburt nicht miterfasst sind, tja…
Nun bin ich aber ehrlich gesagt erschüttert über die in der Einführung vertretene Ansicht, dass der Mensch nichts anderes als ein Tier sei:
„… Es zeigt sich jedoch immer wieder, dass Menschen (wie andere Tiere auch) teils recht unterschiedlich auf sehr ähnliche Erfahrungen reagieren..“
und
„…Ist ein Mensch (oder ein anderes Tier) während seiner Kindheit und Jugend fortwährend…. “
Das empfinde ich schlicht als entwürdigend, und rege daher an, das Wort „andere/s“ rauszunehmen. Abgesehen davon nimmt m. E. jedes Lebewesen – egal ob Mensch, Tier oder Pflanze – Schaden, wenn es nicht seiner Art entsprechend leben und gedeihen darf/kann.
Zum Fragebogen selbst:
Ich habe hier einen Score von 5. Und ich stimme mit meinen Vorrednern überein, dass auch sich regelmäßig abspielende Dramen zwischen den Eltern, selbst wenn es keine körperlichen Übergriffe gab, ein schweres Trauma verursachen können. Da wäre eine Trennung vielleicht weniger belastend gewesen. Das weiß man aber erst hinterher.
Ich freue mich für mich selbst, dass es mir in den letzten Jahren gelungen ist, den Großteil meiner seelischen Verletzungen auszuheilen. Was davon noch subtil vorhanden ist, zeigt sich in der sozialen Interaktion. Hinschauen, was mich da triggert, warum es mich triggert, die damalige Situation betrachten und mit meinen Tools bearbeiten. Anders gesagt: Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit 😉
Danke Volker, dass du diesen Fragebogen mit uns teilst 🙂