Verbotene Gefühle – Scham kenne ich eigentlich gar nicht

1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne (2 Bewertungen, durchschnittliche Bewertung: 5,00 von 5)
Loading...

gefühle: abgründe und urgründe

Verbotene Gefühle

„Scham kenne ich eigentlich gar nicht“

Wenn ein Mensch von sich behauptet, bestimmte Gefühle per se nicht zu kennen, dann sollte uns das nachdenklich stimmen. Schließlich werden wir alle per genetischer Grundausstattung grundsätzlich mit dem gleichen Gehirn geboren. Damit einher gehend haben wir alle das gleiche Gefühlsspektrum.

(Eigentlich) keinen Ärger zu kennen, sich nie für irgendetwas zu schämen oder keine Traurigkeit zu verspüren, müsste daher begleitet sein durch einen nennenswerten biochemischen Umbau im innersten Zenrum des Gehirns. Im limbischen System. Zugegeben: die These steht auf dünnem Eis.

Alternativ hat das Gehirn allerdings möglicherweise gelernt, einen aufkommenden Gefühlsimpuls (eine emotionale Energie) in ein anderes Gefühlszentrum umzulenken. Das zum Beispiel erklärt, warum manche Menschen bei aufkommender Scham wie instinktiv aggressiv reagieren. Je stärker der unterdrückte Scham-impuls, desto ausdrucksstärker in der Regel der dadurch inszenierte Ärger.

Wie kommt es dazu, dass Menschen sich ihre Gefühle verbieten?

Alter Schmerz und seine Folgen

Irgendwann in ihrem Leben machen manche Menschen eine so drastische Erfahrung oder erleben so oft wieder und wieder denselben existenziellen Schmerz, dass sie verzeifelt eine Lösung brauchen. Das innere Verbot bestimmter Gefühle ist eine Lösungsstrategie, die zu jener Zeit absolut hilfreich war. Das verdient Wertschätzung. Eine solche Strategie wird oft als so erlösend aus einem lebensentscheidenden Dilemma empfunden, dass sie später nicht nur nie wieder in Frage gestellt, sondern oft sogar auf Anhieb gar nicht mehr erinnert wird. Dieses Gefühl „gibt es nun nicht mehr“.

Ja, in der Tat. Es ist möglich, sich das Fühlen bestimmter Gefühle zu verbieten. Und in manchen Lebenssituation ist dies tatsächlich die allerbeste Wahl. Bevor du jetzt jedoch zu glauben beginnst, dies wäre genau das richtige für dich in deiner akuten Situation, mache dir klar: diese Strategie ist wirksam, aber sie hat einen immens hohen Preis.

Unsere Gefühle haben ihren Sinn. Sie wurden entwickelt, um uns Lösungen zu bieten für schwierige Situationen in unserem Leben. In manchen sind wir aufgefordert, entschlossen für eine Sache einzutreten (Dies ist die Urkraft des Ärgers). In anderen, das anzunehmen, was wir schlichtweg nicht ändern können – so gerne wir uns das auch wünschen mögen (Hierbei hilft uns authentische Traurigkeit). Die Angst bereitet uns vor auf die Zukunft. Sie erhöht unser inneres Energieniveau, um in einer relevanten Situation in der Zukunft bestmöglich handeln zu können.

So gut die Gründe damals auch gewesen sein mögen: wenn uns heute ein Gefühl fehlt, dann fehlt uns eine genetisch verankerte Lösungsstrategie im Umgang mit belastenden Situationen. Mutter natur hat sich etwas dabei gedacht, als sie uns (und neben uns mindestens alle anderen Wirbeltiere) mit eben diesen Empfindungsqualitäten ausgestattet hat. Oder aber: die Evolution hat durch eiskalte Auslese genau diese Gefühlsmuster auf Grund ihrer Nützlichkeit selektiert. Suche dir eine der Deutungen aus! Sie führen beide zum gleichen Ergebnis.

Der Preis der Kontrolle

Wer sich seiner Gefühle beschneidet, beschneidet sich damit zugleich in seiner urtümlichsten Form der Lebendigkeit. Denn das ist es, was unsere Gefühle sind. Das Leben mag sich sicherer anfühlen dadurch. Das stimmt. Vielleicht sagen wir besser: kontrollierbarer. Das trifft es oft eher. Aber ist es das, was wir wirklich wollen?

Ist es das, worauf wir am Ende unseres Lebens zurückblicken wollen? Auf ein kontrolliertes, gezähmtes und ungefährliches Leben, in dem uns nichts aus der Bahn warf und dazu aufforderte, über unsere Grenzen hinaus zu wachsen? Ein leben, in dem wir alles im Griff hatten? Ein leben ohne Risiko?

Was wollen wir wirklich?

Vielleicht – wer weiß das schon genau – ist dies das einzige Leben, das wir bekommen. Natürlich: wir können es im Inneren unserer Komfortzone verbringen. Diese Wahl können wir treffen. Was wir dadurch aufgeben, ist unsere ureigene Lebendigkeit. Im Inneren der Komfortzone werden wir weder erfahren, wozu wir wirklich im Stande sind, noch werden wir dort Wunder erleben. Denn die geschehen allein dort draußen, wo das Leben wild und ungezähmt ist. Das ist der Preis, den wir kennen sollten. Die Wahl, welchem Weg wir durch unser leben folgen, liegt bei jedem von uns ganz allein.

Wenn wir uns erlauben wollen, dass ehemals verbotene Gefühle wieder einen Raum in unserem Leben bekommen, dann bedeutet das, dass wir uns erlauben müssen, Angst und Schmerz zu spüren. Angst, weil wir damit eine Strategie aufgeben, die uns vormals den Eindruck von Sicherheit vermittelt hat. Schmerz, weil wir bislang wahrscheinlich wenig Erfahrungen haben darin, unangenehmen Situationen mit offenem Herzen zu begegnen. Und das kann weh tun.

Leben jenseits unserer Komfortzonen

Die Entscheidung, unser Leben ganz und gar zu fühlen, ist die Entscheidung für den Schritt aus unserer vertrauten Komfortzone hinaus. Dort draußen werden wir erfahren, zu wie viel mehr wir im Stande sind, als wir (und/oder andere) es uns lange zugetraut haben. Dort draußen begegnen uns Abenteuer und Wunder. Dort draußen, und nur dort draußen, wachsen wir hinein in unser ganzes Potenzial.

Aber dort draußen begegnen uns auch Gefahren. Wir werden ent-Täuschungen erleben, Ablehnung erfahren und immer wieder konfrontiert sein mit Angst, Schwäche und Schmerz. Darum ist es hilfreich, wenn wir auf diesem Weg Gefährten haben. Dies können Freunde sein, die denselben Schritt bereits vor uns gewagt haben. Manche von uns finden Unterstützung bei ihren Liebespartnern oder in der Familie. Andere in einem Coach oder einer Therapeutin.

Unsere Entscheidung für das Fühlen ist unsere Entscheidung für das Leben selbst. Es ist die Entscheidung dafür, ganz zu werden, wahrhaftig und menschlich in seiner reinsten Form. Keine Entscheidung bringt uns näher in Kontakt mit uns selbst, mit allem, was wir sind. Erwachsen und klein. Verletzlich und stark. Den Herausforderungen des Lebens gewachsen. Und von der ganzen Vielfalt und Schönheit des Lebens durchdrungen und genährt.

Kontrolle oder Lebendigkeit? Die Wahl trifft jeder und jede für sich. Welchen Weg hast du für dich gewählt? Hinterlasse mir gerne einen Kommentar!

[separator style_type=“none“ top_margin=“10″ bottom_margin=“10″ sep_color=““ border_size=““ icon=““ icon_circle=““ icon_circle_color=““ width=““ alignment=“center“ class=““ id=““]

Lies hier weiter:

Klüger fühlen!

Wer ist „ich“? (Der „Fliegende Holländer“)

Warum du deine Probleme nicht „loslassen“ kannst

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Gefällt dir, was du hier liest…?!

Nicht jede/r kann sich den „Luxus“ einer individuellen Beratung in Sachen Liebe und Sexualität leisten. Das gilt wohl insbesondere in so unruhigen Zeiten wie diesen.

Mit deiner Spende hilfst du mir dabei, dieses kostenlose Angebot an Informationen, Perspektiven und Haltungen weiterhin kostenlos und werbefrei zu halten. Damit es nicht von unserem Einkommen abhängig ist, was wir in unserer Liebe für möglich halten und erfahren dürfen.

Außerdem gibst du mir dadurch ein deutliches und sichtbares Zeichen deiner Anerkennung und Wertschätzung für meine Arbeit.

Ich freue mich über jede Unterstützung!

Persönliche Informationen

Spendensumme: €10.00

Verwandte Themen

klüger fühlen 06 – Klüger fühlen!

Was ergibt sich aus diesem Modell unserer Gefühle für unseren täglichen Umgang mit ihnen? Welche Schlüsse lassen sich ziehen, und wie können diese uns im Umgang mit unserem eigenen Gefühlsleben hilfreich sein?

Dieses letzte Kapitel führt uns von der Theorie zurück ins wahre Leben. Dort schließlich haben viele von uns es

mehr...

Trennung mit Kindern: Das lange Manöver

Die statistischen Zahlen sprechen eine ermutigende Sprache. 95% der Sorgerechtsklärungen vor deutschen Familiengerichten enden derzeit mit dem Ergebnis des geteilten Sorgerechts.

Es hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten vieles getan.

Und doch empfinden sich viele getrennte (oder auch nicht getrennte) Väter als Elternteile zweiter Klasse. Weil die Zeit, die ihnen

mehr...

Der besondere Zauber des Oralverkehrs

Oralverkehr ist bedeutend mehr als einfach nur irgendeine Spielart beim Sex. Ist es nicht so…? Oralverkehr, das spüren viele von uns intuitiv, ist irgendwie etwas Besonderes. Was genau aber macht diesen besonderen Zauber aus…? Und warum haben so viele Männer wie Frauen Hemmungen bei der Vorstellung, ihren Liebespartner (m/w/d) mit

mehr...

Die psychischen Grundbedürfnisse des Menschen

Alles menschliche Streben beruht auf den Bedürfnissen unseres Körpers und unserer Psyche. Alle Ziele, die wir in unserem Tun verfolgen, und alle Sehnsüchte und Wünsche, die wir in uns hegen, basieren darauf, dass unser System aus Körper und Geist unablässig damit beschäftigt ist, bestmöglich dafür zu sorgen, dass unsere physischen

mehr...

Es ist doch nur Eifersucht – an schwierigen Gefühlen gemeinsam wachsen

Gäbe es eine Hitliste der unbequemsten und ungeliebtetsten Gefühle, die in einer Partnerschaft auftauchen können, sie würde angeführt von dem Dämonen, den wir umgangssprachlich „Eifersucht“ nennen. Weder die Ehe noch ein innerstes Bekenntnis zur Polyamorie kann uns auf Ewigkeit immun machen gegen dieses Gefühl und seine allzu oft selbst- und

mehr...
[ga_optout]WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner